Beck gegen SPD-Rauswurf von Clement: Der Mann will Recht haben
Über Wolfgang Clements Ausschluss werden weder SPD-Chef Beck noch Steinmeier entscheiden. Sondern pingelige Verwaltungsreichter. Und Clement selbst.
Gunter Weißgerber, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Leipzig, ist richtig sauer. Am liebsten würde er alle Gegner der Agenda 2010 aus der SPD werfen. All die Ypsilantis, die die Unverschämtheit hatten, die Weisheit von Schröders Reformpolitik anzuzweifeln, sind ihm längst ein Dorn im Auge. Die "hätten eher als Wolfgang Clement den Ausschluss verdient", so Weißgerber. Dann erklärt er, dass er sein SPD-Parteibuch zurückgeben wird, falls die Bundesschiedskommission Clements Parteiausschluss bestätigt. Der Parlamentarier Reinhard Schulz aus Waren droht nicht mit Austritt, fährt aber rhetorisch große Kaliber auf. Es sei "lächerlich", wenn "wichtigtuerische Funktionärskretins" einen "angesehenen Spitzenpolitiker" rauswerfen wollten. Das erinnere an den Terror der Jakobiner und Leninisten. In der SPD hat der alte Kalauer "Gegner, Feind, Parteifreund" Konjunktur.
Dass kommunistischer Tugendterror von den honorigen Mitgliedern der Landesschiedskommission in NRW Besitz ergriffen hat, ist unwahrscheinlich. Natürlich geht es bei diesem Fall auch um den zähen Streit, ob die Agenda 2010 nötig oder ein Unheil war. Aber nicht nur. Und wie dieser Fall ausgeht, das wird weniger davon abhängen, wie viele in der SPD für oder gegen die Agendapolitik votieren. Sondern von Wolfgang Clements Gemütslage.
Allerdings hat sich, nach langem Schweigen, der SPD-Vorsitzende Kurt Beck in die Angelegenheit eingemischt. Becks Absicht ist es wohl, Clement mit einer Rüge davonkommen zu lassen - damit sich die Wogen wieder glätten. Zu diesem Zweck regte er an, dass der SPD-Vorstand dem Parteiordnungsverfahren gegen Clement beitreten solle. Die SPD-Führung könnte so ihr Recht wahr nehmen, "das Interesse der Gesamtpartei zu vertreten", sagte Beck. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil soll als politischer Bevollmächtigter Clement den Hals retten. Entscheiden wird freilich weder Heil noch Beck noch sein Rivale Frank-Walter Steinmeier.
Ob der Fall Clement in diesem Spätsommer die SPD quälen wird oder nicht, wird Hannelore Kohl entscheiden. Sie ist Verwaltungsrichterin, seit 1972 in der SPD und Vorsitzende der Bundesschiedskommission. Allein dieses höchste Parteigericht wird über den Fall Clement entscheiden. In der Kommission, die direkt vom Parteitag gewählt wird und nur der Satzung verantwortlich ist, sitzt versammelter juristischer Sachverstand. Roland Rixecker ist Präsident des Oberlandesgerichts und des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes, Thomas Notzke Richter am Oberverwaltungsgericht Thüringen, Kristin Keßler Ministerialdirigentin im Stuttgarter Wirtschaftsministerium. Man kann davon ausgehen, dass diese Kommission nach Geist und Buchstaben der Satzung entscheidet - und allergisch reagiert, wenn man sie "wichtigtuerische Funktionärskretins" nennt.
Die Landesschiedskommission NRW hat Clement aus zwei Gründen ausgeschlossen. Erstens weil sein Aufruf, Andrea Ypsilanti nicht zu wählen, parteischädigendes Verhalten war. Zweitens, weil Clement ein Wiederholungstäter zu sein scheint: "Die Landesschiedskommission schätzt das Risiko, dass es künftig zu vergleichbaren Angriffen auf die Wählbarkeit der SPD kommt, als hoch ein." Dass Clement am 20. September 2009 einfällt, dass die SPD doch eine letztlich unwählbare Ökospinnerpartei ist, kann ernsthaft kein Sozialdemokrat wollen.
Deshalb liegt der Ball im Feld von Clement. Macht er den Verwaltungsrichtern in der Bundesschiedskommission deutlich, dass er der SPD nicht noch mal in der Rücken fällt, kann er mit Gnade rechnen. Doch was sein Anwalt Otto Schily vorgestern kundtat, liest sich ganz anders - nämlich wie Abteilung Attacke. Clement sei in Wirklichkeit das Opfer, während die wahren Parteifeinde, "die Gegner des Schröderschen Reformkurses, unbehelligt bleiben". Will sagen: Clement hatte recht. Bleiben Clement und Schily bei dieser Nach-vorn-Verteidigung, wird es der Bundesschiedskommission schwerfallen, Clement zu retten. Denn ihm scheint es nicht mehr um einen gesichtswahrenden Kompromiss für alle zu gehen, sondern darum, auf Biegen und Brechen sein Reformwerk gegen missgünstige, mediokre Funktionäre zu behaupten, die ihm schon lange das Leben sauer machen. Mit Schily hat er einen Anwalt gewählt, der ihm gleicht: einen Solitär, der die Genossen schon immer gerne spüren ließ, dass er von oben auf sie schaut. Und von dem bekannt ist, dass er mit vielen Talenten gesegnet ist. Außer dem, je einen Fehler einzuräumen.
Wie es aussieht, liegt das Schicksal der SPD derzeit in den Händen von zwei alten Männer, die felsenfest davon überzeugt sind, dass sie recht haben. Und die das um jeden Preis beweisen wollen. Keine guten Aussichten für die SPD.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben