piwik no script img

Bebrillte Bartträger machen Höllenlärm: Sun WorshipEin Gefauche und Gebelle

Ausgehen und Rumstehen

von Andreas Hartmann

Finstere Nacht, kein Mond und keine Sterne über Berlin, Nebelschwaden steigen auf. Es lockt die Stimmung da draußen überhaupt nicht, das Haus zu verlassen. Stattdessen Spieleabend? Noch eine Staffel „Modern Family“? Ich schiebe ein Stück Brot in den Toaster, der spuckt etwas dunkel Verbrutzeltes wieder aus. Ich blicke aus dem Fenster und sehe einen schwarzen Raben, der mich anblickt. Na gut. Perfekter wird’s wohl nicht mehr für Black Metal, den Düster-Sound, vor dem sich sogar The-Cure-Verehrer fürchten.

Sun Worship spielen am Samstag in der Berghain Kantine, Sun Worship sind eine Black-Metal-Band aus Berlin. Black Metal aus den USA, ja aus Frankreich und Polen, aus Skandinavien sowieso, das ist man gewohnt. Aber Black Metal aus der Stadt des Techno, das macht noch richtig neugierig. Doch in der Szene scheint es sich bereits herumgesprochen zu haben, dass Sun Worship es wirklich bringen. Der Laden ist rappelvoll.

Wenn man beim Auftritt der Band die Augen schließt, hört man all das, was astreinen modernen Black Metal ausmacht: Hochgeschwindigkeits-Drums, matschige Gitarren und ein Gefauche und Gebelle, das sich nur schwer einem menschlichen Organ zuordnen lässt. Man denkt, da vorn werden bestimmt irre Rituale abgehalten, Jungfrauenblut getrunken und Ziegen geschlachtet.

Black-Metaller lassen sich showtechnisch schließlich im Allgemeinen mindestens so viel einfallen wie Lady Gaga. Man glaubt also, der Leibhaftige persönlich dreht da vorne seine Runden. Mindestens. Dann aber öffnet man seine Augen und sieht auf der Bühne drei bebrillte Bartträger stehen, die aussehen wie Maschinenbaustudenten und mit denen man das Gehörte einfach nicht in Einklang zu bringen vermag. Black Metal, das war doch mal diese Musik, für die man vorher mindestens eine Kirche hat abfackeln müssen und für die man sich in eine Kluft zwängt, mit der man bei der nächsten Halloween-Party einen Preis für das beste Kostüm bekäme. Nun aber wollen immer mehr Black-Metal-Bands von diesem Mummenschanz nichts mehr wissen, so ganz offensichtlich auch Sun Worship. Nicht einmal lange Haare tragen die drei Mitglieder der Band!

Auch im Publikum: nur Normalos. Kaum Band-T-Shirt-Träger. Ein bisschen wenig Frauen vielleicht, aber so ungefähr sah es auch neulich beim Auftritt von Bon Iver in Berlin aus. Natürlich kann man Sun Worship und ihr Publikum auch verstehen. Man lebt schließlich in Berlin und nicht im norwegischen Bergen, wo es einfach Tradition hat, dass Musiker, die sich diesem unheimlichen Black Metal widmen, auch dementsprechend aussehen. In Bergen gehören seltsam bemalte Gestalten aus der Black-Metal-Szene zum Stadtbild, hier in Berlin würden sie wirken wie Aliens.

Die Black-Metal-Szene ist noch ziemlich klein in der Stadt, aber der Erfolg von Sun Worship, die längst nicht nur in ihrer Heimatstadt mittlere Konzerthallen füllen, könnte ja bewirken, dass hier bald noch mehr geht mit dieser interessantesten aller Metal-Spielarten. Und dann würde man bei einem Konzert wie diesem vielleicht doch auch einmal neben Leuten stehen, die sich schminken wie Untote, und das würde einem die Abendunterhaltung bestimmt bereichern. Cosplay ist doch inzwischen eine Riesensache, auch in Berlin. Hoffentlich setzt sich die Lust am Verkleiden bald auch in der lokalen Black-Metal-Szene durch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen