Beate SchederSchaut sich in Berlins Galerien um:
Für die Einbindung seines Publikums bedient sich Ho Tzy Nyen bei „No Man II“ eines einfachen, aber doch wirkungsvollen Tricks: Während seiner sechsstündigen Videoinstallation in der Galerie Michael Janssen geschieht es immer wieder, dass der Spiegel-Bildschirm sich verdunkelt und man auf einmal sich selbst gegenübersitzt und so quasi Teil von Nyens Geisterchor wird. Und das an entscheidender Stelle, dann nämlich, wenn jener Chor, der ansonsten aus historischen, mythologischen wie popkulturellen Figuren besteht, das Wort „dich“ ausspricht. Es ist das letzte aus John Donnes berühmten, den Altruismus preisenden Zeilen, nach denen kein Mensch eine Insel sei, sondern vielmehr Teil eines großen Ganzen. Damals so wahr wie heute (bis 11. 11., Di.–Fr., 15–18, Sa., 11–15 Uhr, Potsdamer Str. 63).
Ein ganz anderes Menschenbild begegnet einem in der Welt von „Rust“. Dass der Mensch dem Mensch ein Wolf ist, ist das Einzige, worauf man sich verlassen kann. Gefahren lauern überall: Bären und Wölfe, Hunger und Kälte, menschliche Gegner. „Rust“ ist unter den Online-Überlebensspielen eines der brutalsten und ausgerechnet dieses haben sich die Kuratorinnen Annika Kuhlmann und The Mycological Twist aka Anne de Boer und Eloïse Bonneviot als Environment für die Gruppenausstellung „ru still there“ in den neuen Räumen von House of Egorn ausgewählt. In einer einwöchigen Game-Residency entstand die Installation, die man nun mit oder ohne Audiobegleitung von Gaile Pranckunaite durchwandern kann. Gefahrlos übrigens. In der zentralen Videoarbeit „60 million Americans can’t be wrong“ enttarnen sich Christopher Kulendran Thomas & The Micological Twist am Ende gar als Utopisten. Ihre Überlegung: Wenn die hiesige Welt in den Händen von Rechtspopulisten schon Gefahr läuft, zugrunde zu gehen, wäre es vielleicht an der Zeit, eine neue Gesellschaft aufzubauen, in der Cloud (bis 25. 11., Mi.–Sa., 11–18 Uhr, Potsdamer Str. 96).
Überhaupt die Zeit. In Fiete Stoltes Werk ist die Auseinandersetzung mit ihr seit Längerem zentral. So auch bei den derzeit bei Helga Maria Klosterfelde ausgestellten Arbeiten. Darin beschäftigt sich Stolte mit den Möglichkeiten der Messung von Zeit, genauer gesagt mit der wohl symbolträchtigsten davon, mit Sanduhren. Die Sanduhr jedoch, die er benutzt, hat er seiner Funktion beraubt, ihr fehlt der Boden. Per Hand füllt Stolte auf den Fotografien den Sand immer wieder hinein, wie ein Sisyphos, der gegen das unaufhaltsame Verrinnen der Sekunden ankämpft (bis 25. 11., Mi.–Sa., 11–18 Uhr, Potsdamer Str. 97).
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