Bayern: Hilfe für misshandelte kleine Männer

Für sexuell missbrauchte Jungen gibt es bisher wenig professionelle Beratung. Das Land Bayern will das ändern.

Über sexuellen Missbrauch von Jungen wird kaum geredet - die Täter bleiben so meist unerkannt. Bild: dpa

MÜNCHEN taz Still und heimlich handeln die Täter, still und verschüchtert bleiben die meisten Opfer: Etwa 4 bis 9 Prozent der Jungen in Deutschland werden in ihrer Kindheit Opfer sexueller Gewalt. Darüber geredet wird kaum, kritisierte der bayerische Sozialstaatssekretär Jürgen Heike gestern bei der Vorstellung eines Modellprojekts zur Beratung bei sexueller Gewalt gegen Jungen in München.

"Sexueller Missbrauch gegenüber Jungen ist immer noch ein Tabuthema", so der CSU-Politiker. "Dabei sind betroffene Jungen noch schwieriger zu erreichen als Mädchen, weil sie sich noch seltener als Opfer offenbaren." Zumindest in Bayern soll sich die Situation verbessern. Die Münchner Beratungsstelle kibs - eine von drei opferbezogenen jungenspezifischen Beratungsinstitutionen in Deutschland - soll mit Regierungsmitteln bayernweit tätig werden und damit die Arbeit der 33 Frauenberatungsstellen um den männlichen Aspekt ergänzen. Bisher beschränkte sich die Arbeit von kibs auf München, seit 1999 gibt es das Projekt. Das Deutsche Jugendinstitut München und die Fachhochschule Landshut betreuen die zweijährige landesweite Testphase.

Genaue Zahlen über sexuelle Gewalt gegen Jungen gibt es bisher kaum. Meist bieten nur Erfahrungsberichte der wenigen Fachleute und die Dokumente von Gerichtsverhandlungen einen Einblick. Kibs-Psychologe Peter Mosser erklärt, Jungen seien seltener als Mädchen sexueller Gewalt aus der Kernfamilie ausgesetzt, dafür sei der "soziale Nahraum", also beispielsweise Sportvereine oder Kirchengruppen, gefährlicher.

Den Umfang solcher Fälle zeigt ein Blick ins Nachrichtenarchiv: Im vergangenen Jahr wurde eine Lehrerin in Regensburg zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil sie einen 13-Jährigen mit Alkohol gefügig gemacht und ihn danach auch noch mit der Möglichkeit einer Schwangerschaft belastet hatte. Im Januar wurde bekannt, dass sich ein katholischer Pfarrer aus Isselburg bei einer Lesenacht und im Messdienerlager an drei Jungen vergangen hat. Der 45-jährige Geistliche sprach von "Grenzüberschreitungen" und einem "naiven Umgang mit Distanz". Aus Gotha wurde im März berichtet, dass sich ein 12-Jähriger an einem 7-Jährigen vergangen hatte. Und vor einem Monat wurde einem Leiter eines brandenburgischen Jugendklubs der Prozess gemacht. "Massieren und Streicheln habe ich nie als Einstieg in den sexuellen Missbrauch gesehen", meinte der Angeklagte.

Ursache für sexuelle Übergriffe auf Jungen ist oft ein Reinszenieren, so die Kibs-Experten. Viele der männlichen Täter seien früher Opfer gewesen. Ziel der Beratungen und Therapien sei es, diese Spirale zu durchbrechen. Damit das gelingt, müssen sich die Münchner Psychologen um immer jüngere Klienten kümmern. "Mittlerweile sind wir im Kindergartenalter angekommen", berichtet Mosser. Und bereits die Steppkes sind in der Gewaltspirale gefangen, weil sie ihre Erlebnisse nicht anders verarbeiten können. "In diesem Alter sind die Übergänge zwischen Täter und Opfer oft fließend."

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