Bauerngarten für Städter: Die Kommune der Stadtbauern

Zwei junge Landwirte organisieren einen gemeinschaftlichen Garten. Der Clou: Sie bereiten alles vor, nur Unkraut ziehen und ernten müssen die Städter noch selbst.

Irgendwo hinter Spandau, zwischen Gatow und Hohengatow an der Havel gelegen, befindet sich ein stattlicher Garten. In langen Reihen wachsen dort große Salatköpfe neben Kartoffeln und Radieschen, ranken sich kräftige Kürbispflanzen neben Karotten. Jung und Alt knien im Grün und ernten das frische Gemüse. Wenn Max von Grafenstein über seine Vision eines Stadtgartens spricht, nimmt er mit seiner Begeisterung schnell auch sein Gegenüber für sich ein.

Der junge Mann steht auf einem kargen Acker. Ein kleiner Maulwurfshügel neben seinen Füßen und ein paar Getreidestoppeln sind das Einzige, was hier wächst. Der prächtige Gemüsegarten existiert nur in seinen Gedanken. In den kommenden Wochen soll sich das ändern.

Bauerngarten Havelmaten heißt das Projekt von Max von Grafenstein und Benjamin Bauer. Der Slogan lautet: "Wir pflanzen - Sie ernten." Die Idee dahinter ist einfach: Die beiden legen nach ökologischen Gesichtspunkten einen Garten an, pflügen den Boden, säen und pflanzen verschiedene Gemüsesorten. Laien können ab sofort einen Teil des Gartens für eine Saison pachten und alles ernten, was dort wächst. Und das fast ohne Gartenarbeit: Nur eine Stunde pro Woche sollten die Nachwuchsgärtner einplanen. In dieser Zeit müssen sie, so Benjamin Bauer, vor allem Unkraut jäten. Zielgruppe des Bauerngartens sind Städter, die gern frisches Biogemüse essen, aber weder Boden noch viel Zeit fürs Gärtnern haben.

Max von Grafenstein und Benjamin Bauer bezeichnen sich selbst als Stadtbauern. Für sie ist das kein Widerspruch, sondern vielmehr ein innovatives Berufsfeld. "Stadtbauern haben neue Aufgaben wie Kundenbetreuung und Verwaltung", erklärt Benjamin Bauer. Eine klare Grenze zwischen sich und den "normalen" Landwirten wollen die beiden aber nicht ziehen. Schließlich würde ein wesentliches Element alle Bauern verbinden: die Leidenschaft für die Natur.

Und die haben beide schon früh entdeckt. Max von Grafenstein wuchs auf dem Land bei Göttingen auf. Sein Vater hat einen Biohof, er verkauft eigene Produkte im Hofladen. "Für mich hat es etwas Träumerisches und etwas Handfestes zugleich, draußen im Grünen zu leben und zu arbeiten", sagt Max von Grafenstein. Er sieht aus wie ein Naturbursche aus dem Bilderbuch: zersauste strohblonde Dreadlocks, leuchtend rote Wangen, dazu Klamotten aus Leinen. Auch Benjamin Bauer fühlt sich verbunden mit der Natur. Der 27-jährige wurde zwar nicht auf dem Land groß, aber immerhin früh auf Ökologie getrimmt: "Meine Eltern sind seit vielen Jahren Fördermitglieder von Greenpeace." Er entwickelte über den Umweltaktivismus ein Interesse an ökologischen Themen, nach dem Abitur absolvierte er ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in einem Pflanzenzuchtbetrieb.

Die Wege der beiden jungen Männer kreuzten sich das erste Mal in Witzenhausen nahe Kassel. Dort studierten sie ökologische Landwirtschaft und hörten von Gemeinschaftsgärten. "Zuerst gab es Gemeinschaftsgärten in Wien, und dort waren sie sehr erfolgreich", erklärt Max von Grafenstein. Im Rahmen seiner Abschlussarbeit setzte sich der heute 28-Jährige intensiv mit dem ökologischen Direktvermarktungskonzept auseinander. Daraus entwickelte er gemeinsam mit Benjamin Bauer ein Modell, das sie dann erst einmal am Studienort erprobten. Mit Erfolg: Die Ausbeute übertraf alle Erwartungen.

Die wesentlichste Veränderung zum ursprünglichen Wiener Konzept ist die Form ihres Gemeinschaftsgartens. Dieser wird als Kreis angelegt, um den Hobbygärtnern das zeitintensive Wässern zu ersparen. Von der Mitte aus versorgt ein Kreisregner regelmäßig alle Pflanzen mit Wasser. Außerdem setzen die Stadtbauern auf eine intensive Betreuung der Nachwuchsgärtner: Sie sollen im Umgang mit der Natur geschult und von der Leidenschaft für den Landbau angesteckt werden.

Beim Grübeln über den richtigen Standort für ihren Bauerngarten sei ihnen schnell Berlin in den Sinn gekommen. "Alternativ zu sein ist hier Normalzustand", begründet Benjamin Bauer die Ortswahl. Berlin habe den Ruf einer offenen, alternativen Stadt, da sei es nicht so schwierig, mit einem ökologischen Projekt Fuß zu fassen, hofft Bauer. Außerdem gäbe es viele innerstädtische Freiflächen, auf denen man sogar mitten in der Stadt gärtnern kann. "Man könnte doch auf der Wiese vor dem Reichstag einen Bauerngarten eröffnen und die Größe der Gemüseparzellen nach der Sitzverteilung im Bundestag gestalten", sagt Bauer - im Scherz.

Bisher ist ihnen der Einzug in die Berliner Innenstadt aber noch nicht so recht gelungen. Zusätzlich zum Bauerngarten Havelmaten am westlichen Rand von Berlin bewirtschaften sie zwei weitere Flächen in Brandenburg. Alle drei Bauerngärten folgen dem gleichen Prinzip: Es wird eine runde Fläche mit einem Durchmesser von 45 Metern angelegt und in 18 Parzellen unterteilt. In Reihen säen und pflanzen sie 25 verschiedene Gemüsesorten, sodass auf den einzelnen Parzellen jedes Gemüse vertreten ist. Das Erntevolumen einer etwa 45 Quadratmeter großen Parzelle soll für ein bis zwei Personen über den Sommer hinweg reichen. Nach der ersten Ernte kann dann nach Belieben nachgepflanzt werden.

In der Mitte des Gartens befindet sich eine "Kräuterspirale", die von allen gemeinschaftlich gepflegt und genutzt werden soll. Für die Grünfläche rund um den Garten sind Blühpflanzen und eine Picknickwiese zum Entspannen angedacht. Außerdem sollen in einer großen Holzkiste neben dem Garten nicht nur alle Gerätschaften, Dünger und Saatgut, sondern auch ein kommentierter Erntekalender deponiert werden. "Gärtnern ist kein Hexenwerk", meint Max von Grafenstein. Er will den Kunden ein umfangreiches Informations- und Schulungsangebot zur Verfügung stellen. Mit einem "guten Wissenstransfer" und entsprechender Betreuung könne auch jeder unerfahrene Städter gärtnern.

In anderen Großstädten Deutschlands haben sich ähnliche Konzepte bereits als erfolgreich erwiesen. Auch Benjamin Bauer und Max von Grafenstein sind überzeugt von ihrem Bauerngarten - und wollen damit Geld verdienen. Der Saisonbeitrag für eine Parzelle in einem ihrer Gärten beträgt 290 Euro. Bisher finanzieren die Stadtbauern diese noch aus "Familiengeld", öffentliche Fördermittel für junge Existenzgründer haben sie beantragt. Bald soll sich das Projekt aber selbst tragen. Um Städter für ihre Bauerngärten zu begeistern, werben sie im Internet, legen Flyer aus und laden zu Informationsveranstaltungen.

Sieben Interessenten haben sich an diesem Abend nur wenige Schritte vom zukünftigen Bauerngarten entfernt in einem alten Bauernhaus zusammengefunden. Johannes Schacht ist einer von ihnen. "Ich habe ein paar Tomaten auf meinem Balkon, suche aber schon seit längerem einen Garten", begründet der Erzieher aus Kladow sein Interesse. Langfristig Land pachten oder kaufen will er aber nicht. Ganz ohne Anleitung anzubauen, dafür fehle ihm auch die Erfahrung, sagt der 31-Jährige.

Radieschen, Kohl

und Mangold

Am Anfang ihrer Präsentation wirken die beiden jungen Männer noch unsicher. "Wir bieten ein einmaliges Direktvermarktungskonzept mit ökologischer Tragweite", bewirbt Benjamin Bauer den Bauerngarten. Etwas hölzern klingt das aus dem Mund des jungen Mannes. Doch die Zuhörer sind ihnen wohlgesinnt, stellen interessiert Fragen. Rasch herrscht eine entspannte Stimmung. Man scherzt und lacht, tauscht sich aus über eigene Gartenerfahrungen.

Die beiden Stadtbauern überzeugen mit ihrer Authentizität. Zwei Interessenten unterschreiben die Anmeldeformulare sofort, drei nehmen die Unterlagen mit und sichern die Teilnahme schon mündlich zu. Auch Johannes Schacht will sich anmelden. "Mein Balkon wird bald eingerüstet, dann ist es mit den Tomaten eh vorbei", sagt er. Die Pflanzen will der 31-Jährige im Sommer auf seine Parzelle im Bauerngarten umsiedeln.

Anfang Mai sollen die vorbereiteten Parzellen mit einem Frühlingsfest an ihre Besitzer auf Zeit übergeben werden. Im Juni sind dann Radieschen und einige Kräuter bereit für die Ernte. Im Oktober beenden Kohl und Mangold die Saison. Die beiden Stadtbauern freuen sich auf einen ertragreichen Sommer. Nur an zweierlei möchten sie lieber nicht denken: Wildschweine und Gemüsediebe. Beide sind leider keine Seltenheit.

Mehr Informationen unter: www.bauerngarten.net

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