: Bauern protestieren - Minister debattieren
Die alljährliche EG-Agrarpreisdebatte entzweit die Gemüter / Ausgleichszahlungen für Überproduktion sollen gesenkt werden ■ Aus Brüssel Michael Bullard
Wenn EG-Europas Bauern zornig sind, fahren sie Trecker allerdings nicht in Wald und Flur, sondern auf Autobahnen und in Innenstädten. Landläufige Reaktion der städtischen Konsumenten bäuerlicher Produkte: Die können den Hals nicht voll genug kriegen.
In der Tat nimmt sich der seit Wochen anhaltende Protest der Bauern gegen eine dreiprozentige Senkung der von der EG garantierten Abnahmepreise für Getreide unverständlich an: Für 1989 weist der Agrarbericht der Bundesregierung einen Gewinnzuwachs der Vollerwerbsbetriebe von 32 Prozent aus. Für dieses Jahr prophezeit Landwirtschaftsminister Kiechle Zuwächse von über als 12 Prozent.
Dies allerdings seien Durchschnittszahlen, erklärt der grüne Europaabgeordnete Graefe von Bahringdorf. Denn rund Zweidrittel der Getreidebauern produzierten auf Standorten, die selbst bei den momentan gültigen Preisen keine Kostendeckung zuließen. Eine Preissenkung bedeute eine weitere Verschlechterung für sie. EG-weit machen jährlich 350.000 landwirtschaftliche Betriebe dicht. Die Großbetriebe hingegen versuchen, die dreiprozentige Gewinneinbuße durch mehr Ausstoß wettzumachen. Deshalb, so Gerard Choplin von der Europäischen Bauernkoordination, verhindere die EG -Kommission nicht etwa die Überproduktion, sondern nur das Überleben der kleineren Familienbetriebe. Der Getreidepreis steht im Zentrum der Auseinandersetzungen, weil er als Leitwährung der Landwirtschaft fungiert, von der die Preise anderer Produkte wie Milch und Fleisch abhängen. Bislang weigerten sich vor allem die Landwirtschaftsminister der BRD, Hollands und Belgiens dem 1988 beschlossenen Preissenkungsautomatismus bei Überproduktion zuzustimmen. Das Limit ist die vereinbarte Garantiemenge von 160 Millionen Tonnen. Diese Garantiemenge wurde in den letzten Jahren beträchtlich überschritten. Gleichzeitig sank der EG -Verbrauch, was zu einem Anstieg des Exports und zu einer Verdoppelung der Ausgleichszahlungen für den im Vergleich zum EG-Preis wesentlich geringeren Weltmarktpreis führte. Weil auch in diesem Jahr wieder eine Überproduktion erwartet wird, muß der Agrarministerrat den Automatismus in Gang setzen. Deshalb tagen seit gestern wieder die Landwirtschaftsminister. In Brüssel geht man davon aus, daß die Minister nicht länger den vom französischen Landwirtschaftsminister unterstützten Vorschlag des zuständigen Kommissars MaSherry ablehnen können, wenn sie sich in den nächsten Tagen zum zweiten Preismarathon zusammensetzen. Im März waren ihre Verhandlungen in Luxemburg ergebnislos abgebrochen worden. Als Alternative will Kiechle für die Bauern Ausgleichsmaßnahmen auf EG- und bundesdeutscher Ebene durchsetzen.
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