Barrierefreie Gesellschaft: Wahlrecht muss für alle gelten
Das Institut für Menschenrechte fordert, dass auch psychisch beeinträchtigte Menschen wählen dürfen. Das Wahlgesetz verstoße gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
BERLIN taz | Das allgemeine Wahlrecht ist eines der grundlegenden demokratischen Rechte. "Doch inwiefern von einem ,allgemeinen Wahlrecht' in Deutschland überhaupt gesprochen werden kann, ist fraglich", sagt Leander Palleit vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Weil immer noch etliche psychisch beeinträchtigte Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, fordert das Institut in einem aktuellen Positionspapier eine Reform des Bundeswahlgesetzes bis 2013. Demnach widerspricht der gesetzliche Ausschluss bestimmter Personen der 2009 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention. Diese räumt Menschen mit Behinderungen ausdrücklich alle politischen Rechte ein.
Konkret geht es um Artikel 13, Absatz 2 und 3 des Bundeswahlgesetzes sowie einige landesrechtliche Regelungen, die zwei Gruppen vom aktiven und passiven Wahlrecht explizit ausnehmen: Menschen, die aufgrund einer Straftat in einer Psychiatrie untergebracht sind und Menschen, denen ein "Betreuer für alle Angelegenheiten" bestellt worden ist.
Ilja Seifert, behindertenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, will deshalb jetzt von der Bunderegierung wissen, wie sie die UN-Konvention künftig erfüllen will. Bei der jüngsten Reform des Bundestagswahlgesetzes im September, die aufgrund eines Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nötig war, seien Forderungen der Linken nach einer Abschaffung der entsprechenden Artikel vollkommen unter den Tisch gefallen, so Seifert. Nun werde man das Anliegen wieder einbringen. Denn in Zukunft werde das Problem auch vor dem Hintergrund immer mehr Demenzkranker noch wichtiger. Es ist allerdings nicht wahrscheinlich, dass sich die Koalitionsfraktionen auf diese Forderungen einlassen. Eine taz-Anfrage ließen sie bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Briefwahl reicht für Betroffene nicht aus
Das Institut für Menschenrechte wirft noch eine andere Frage auf: Inwiefern können behinderte Menschen, die wählen dürfen, dies auch praktisch tun? Es geht um die Barrierefreiheit von Wahlunterlagen, Wahlinformationen und Wahllokalen. Bisher haben weder Bundesregierung noch Bundeswahlleitung darüber einen genauen Überblick.
Das Problem besteht jedoch real: In Berlin etwa waren bei der Landtagswahl Mitte September ein Drittel der Wahllokale nicht barrierefrei. Die Möglichkeit der Briefwahl für Behinderte reiche für die betroffenen Menschen nicht aus, so Palleit: "Auch behinderte Menschen müssen entscheiden können, ob sie in ein Wahllokal wollen, das gehört zum bewussten Akt der Wahl dazu." Außerdem hätten Behinderte auch oft Schwierigkeiten, die Briefwahlunterlagen richtig auszufüllen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales will nun diese Probleme erstmals in einer Studie untersuchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity