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Barfüßige Kriegsgötter

Mogadischu, Grosny, Aleppo: Der italienische Kriegsreporter Domenico Quirico folgt der Spur des Sturmgewehrs AK-47

Nina Apin

Saddam Hussein posierte mit ihr auf Fotos, ebenso Fidel Castro und Arafat. Sie ziert die Landesflagge von Mosambik und verleiht selbst Konsumprodukten wie Energydrinks die Aura des Revolutionären: Das sowjetische Sturmgewehr AK-47, besser bekannt als Kalaschnikow, ist die am weitesten verbreitete Waffe der Welt und zur Ikone bewaffneter Aufstände geworden.

Der italienische Kriegsreporter Domenico Quirico ist diesem Mythos, dessen Ursprung er in der Einnahme Saigons durch barfüßige Vietcongs verortet, nachgereist: Über Jahre und Kontinente hinweg hat er die blutige Spur der Kalaschnikow verfolgt. In Somalia ist er mit einem Waffenhändler unterwegs, im Kongo wohnt er den grausamen Strafritualen bewaffneter Aufseher in den Coltanminen bei, in der Ukraine kriecht er mit notdürftig Bewaffneten durch Schützengräben und in Syrien verbringt er Zeit mit einem Rebellen-Kommandanten, der ihm erklärt: „Ich bin dieses Gewehr.“

Die Kalaschnikow sei die Waffe derer, die im Tod den wahren Sinn des Lebens sehen, schreibt Quirico. Sie ist leicht verfügbar (rund 100 Millionen Stück wurden schätzungsweise davon produziert), billig (für 40 bis 200 Dollar zu haben) und äußerst robust. Außerdem ist sie auch für Personen ohne jede militärische Ausbildung leicht bedienbar, Kindersoldaten zum Beispiel. In den Wäldern Mosambiks trifft Quirico den 16-jährigen Haya, er trägt das Gewehr über der Schulter und ein Brandzeichen im Nacken. Als Kind wurde er von den Renamo-Rebellen verschleppt und zwangsrekrutiert. Das Schießen erlernte er auf einer primitiven AK-47-Nachbildung; er musste einen gefangenen Regierungssoldaten umbringen.

Domenico Quirico: „Kalaschnikow. Wie eine Waffe unser Zeitalter der Konflikte prägt“. HarperCollins, Hamburg 2025, 336 S. , 24 Euro

Er habe, so schreibt der Reporter, kein Buch über die Waffe, sondern über das Böse schreiben wollen, das weder die Technik noch die Kraft der Vernunft oder die Kultur ausmerzen könne. Um seine These zu illustrieren, zieht Quirico die Lebensgeschichte des Erfinders Michail Timofejewitsch Kalaschnikow heran, dessen autobiografische Erinnerungen er in sechs Einschüben zwischen die Reportagen setzt. Der Sohn einer nach Sibirien deportierten Bauernfamilie entwickelte als junger Soldat das Gewehr, für das Stalin ihm einen Orden gab, es wurde zur Standardwaffe der Roten Armee. Bis zum Ende seines 94-jährigen Lebens blieb Michail Kalaschnikow stolz auf seine Erfindung.

Die Kalaschnikow ist eine verlässliche Begleiterin, während sich Ideologien und Kriegsziele ihrer Träger ändern können. Domenico Quirico, lange Jahre Auslandsreporter für die Turiner Tageszeitung La Stampa, geriet 2013 in Syrien in Gefangenschaft von Al-Quaida. In Aleppo begegnete er dem Rebellenkommandanten wieder, der nun unter einer schwarzen Flagge Hof hielt. Aus dem zur Philosophie neigenden Deserteur war ein Gotteskrieger geworden. Quirico fragt sich: „Wenn wir die Kraft gehabt hätten, etwas zu sagen, was wäre dann noch Menschliches zwischen uns, dem Dschihadisten und der Geisel geblieben? Nichts.“

Nach fünf Monaten Gefangenschaft kam Domenico Quirico auf Intervention der italienischen Regierung frei. Welche Spuren die Erfahrung bei ihm hinterlassen hat, darauf geht er im Buch nicht weiter ein. Doch seine Reportagen der Folgezeit lesen sich weitaus düsterer. Im zerbombten Grosny notiert er: „Ein kalter schwarzer Nebel wabert unter einem lichtlosen Himmel über den geschundenen Erdboden, und die Traurigkeit in uns wird zur Krankheit …“

Dem Buch tut der Kontrast zwischen den miteinander verwobenen Erzählstimmen gut: Die des Kriegsreporters Quirico kippt gelegentlich ins Fatalistische oder balanciert hart am Rand zur maskulinen Kriegsprosa, wie im Kapitel über Gaza, wo er kräftige junge Männer und junge „Kriegsgötter“ am Werk sieht. Kämpfende Frauen thematisiert er kaum – das wirkt, als weigere er sich, den ikonischen Bildern zu huldigen, welche die Kalaschnikow auf diesem Gebiet produziert hat.

„Ich zweifelte keinen Moment an der Richtigkeit meines Handelns“: Erfinder Michail Kalaschnikow Foto: Karlin Gainsborough/PIP-Landmark Media/imago

Jedenfalls setzen die munteren Lebenserinnerungen des Genossen Kalaschnikow einen wohltuenden Kontrapunkt zu den Kriegsberichten. Kalaschnikow, der zeit seines Lebens Kommunist geblieben war, beschreibt trocken die Härten des Stalinismus, lästert über intrigante Kader, Jelzin und den ewigen kapitalistischen Feind aus dem Westen. Erst ganz am Lebensende äußert er leise Zweifel an seiner „vollkommenen Schöpfung“, die so vielen Menschen das Leben genommen habe.

Patriarch Kyrill tröstet den Waffenerfinder: Es gebe den Tod nicht wirklich, sondern nur in dieser Welt. Worte, die nach den eindringlichen Reportagen von den Kriegsschauplätzen dieser Welt umso perverser klingen.

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