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Archiv-Artikel

VOM CHEMIESCHEISSHAUS ZUR SIEMENSKRISE – WER WILL SCHON GROSSE GESCHÄFTE DIREKT VOR SEINER NASE HABEN? Bamm!

JOSEF WINKLER

Ein flüchtiger Blick in den Spiegel – mein Gott, ich bin ja ganz grün im Gesicht! Was ist mit mir? Klar, der Kolumnenabgabedruck hat sich aufgestaut, aber das ist doch kein vertretbarer Teint für einen Sonntagmittag!

Ach so, das ist nur der Schein der prallen Sonne, der mir, von dem grelltürkisen Chemieklo drei Meter vor meinem Wohnzimmerfenster reflektiert, ins Gesicht fällt und mir diese gewisse Wasserleichenhaftigkeit verleiht. Wenn Sie über die Wortkombination „Chemieklo drei Meter vor meinem Wohnzimmerfenster“ gestolpert sind, dann bin ich ganz bei ihnen. Ich frage mich nämlich allmählich, wie lange man als normaler Wohnbürger eigentlich cool damit sein muss, dass einem so ein Abort direkt vor Fenster und, ja, Nase gestellt wird, weil die Legionen von Handwerkern, die seit über einem halben Jahr das Nachbarhaus sanieren, auf dass der Besitzer-Investor sich demnächst Puperze und, ja, Nase vergolden lasse, weil diese Handwerker ja auch irgendwie irgendwo müssen und weil das offenbar nicht geht, dass man diese Plastikbox in den Innenhof des zu vergoldenden Hauses stellt, schon allein, weil sonst der Chemiefäkalienabsaugermann mit seinem Fäkalienabsaugerlaster nicht dazu kommt. Drum tun wir’s dem Nachbarn hin, der kommt schon klar damit.

Nun ist es schon nicht besonders erhebend, auch nur den Lichtwiderschein eines Chemiescheißhauses ins Gesicht geklatscht zu bekommen. Aber hier tagein, tagaus im „Home Office“ zu sitzen, ein lauter Schlag – Bamm! – der Plastiktür vermeldet: Jetzt ist wieder einer reingegangen, und drei Meter jenseits der Tastatur, nur fünf Millimeter Plastikwand trennen uns vom Geschehen, wird jetzt eine Sitzung mit anrüchigen Tagesordnungspunkten eröffnet …

Apropos große Geschäfte. „Löscher und Kaeser“ – super Titel für eine heitere Vorabendkrimiserie im BR, oder? Mich wundert ja – aber vielleicht ist das gar nicht verwunderlich –, was für ein Promi-Bohei um diese Wirtschaftsgroßfuzzis gemacht wird. Das Kulturradio, dem ich ansonsten vertraue, berichtete am Wochenende aus Arnbruck im Bayerischen Wald, der Heimatgemeinde von Herrn Kaeser. Man äußerte zunächst Verständnis dafür, dass sich der Mann „Joe“ nennt – weil nämlich offenbar so ein legerer „Joe“ in der internationalen Businesswelt viel mehr Türen öffnet als so ein sperriger „Josef“; was mir freilich zu denken gab.

Dann wurden Einwohner von Arnbruck interviewt, die sich tatsächlich nicht nur stolzgeschwellt freuten – Wir sind Siemens-Chef! –, als habe einer der ihren den Eurovision Song Contest oder mindestens die Fußballweltmeisterschaftsolympiade gewonnen, sondern sich auch dahingehend äußerten, diese Beförderung des berühmtesten Sohnes ihres Fleckens könnte ebenjenem Flecken und potenziell ganz Niederbayern irgendwie etwas „bringen“.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin Mittwoch Matthias Lohre Konservativ Donnerstag Margarete Stokowski Luft und Liebe Freitag David Denk Fernsehen Montag Anja Maier Zumutung

Renommee, Publicity, geldwerte Vorteile gar? Schon machen sich Scharen von Touristen auf den Weg nach Arnbruck, das neue Marktl am Inn? … Bamm! Jetzt ist wieder einer reingegangen. Wie, am Sonntagmittag? Bloody tourists.