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Archiv-Artikel

„Ballett hat den gleichen Glamour“

Zwischen Disco und Dienstleistung: Der Elektronikkomponist Ekkehard Ehlers über seine Arbeit an den verschiedenen Fronten von House bis Hochkultur, über die Schnittstellen von Rave-Szene und Staatstheater sowie Musikarchäologie am Computer

Interview HARALD FRICKE

taz: Herr Ehlers, wo kommen all die jungen und schönen Menschen im Booklet zu Ihrer neuen CD her? Haben Sie einen so großen Freundeskreis?

Ekkehart Ehlers: Die Bilder auf „Politik braucht keinen Feind“ sind von dem Frankfurter Fotografen Daniel Hermann. Er hat über fünf Jahre hinweg im Offenbacher Club Robert Johnson Leute fotografiert, insgesamt 5.000 Fotos. Danach hat er mit den Bildern den Club tapeziert. Weil ich von vornherein Rave- und Clubkulturfotos für meine CD haben wollte, ist mir das Herz hoch gehüpft, als wir in dem Club standen und das Cover direkt vor meinen Augen praktisch schon fertig an der Wand war.

Die Musik passt dagegen überhaupt nicht in Clubs.

Es sollte schon ein klein wenig ein Angriff auf die Clubkultur sein. Mir gefällt das Einerlei nicht, das Monokulturelle.

Warum müssen Sie unter dem Motto „Politik braucht keinen Feind“ doch wieder Oppositionen aufbauen?

Der Titel war eher auf eine Musik bezogen, wie ich sie mir vorstelle: etwas Extremes, was sich aber selbst genug ist und aus der eigenen Konsistenz auch die eigene Stärke bildet. Das hat natürlich etwas mit dem Effekt zu tun, den das Bild auf dem Cover erzeugt: Der Typ im T-Shirt mit den Twin Towers drauf, darunter der Titel.

Die Stücke auf der CD sind großenteils Auftragskompositionen, die sich weder mit Terror noch mit Unterhaltung beschäftigen, sondern für Ballett entstanden sind. Wo setzen Sie die Grenzen Ihrer Arbeit?

Die Zusammenstellung ist zufällig entstanden. Es sind bestimmte Kompositionen aus den letzten zwei, drei Jahren, die ich jetzt herausbringen wollte.

In der gleichen Zeit haben Sie aber auch House-Platten und Clicks-’n’-Cuts-Tracks veröffentlicht …

Auch. Ich trenne da sehr genau: der Clubbetrieb, dazu noch März, das Pop-Ding gemeinsam mit Albrecht Kunze, und eben Stücke wie diese hier. Mir ist die Entscheidung wichtig, nichts zu vermischen. Wenn bei der „Neuen Musik“ noch Beats hinzukämen, das wäre unerträglich.

Bislang war die Richtung umgekehrt: Mehr DJs ins Museum, Disco auf der documenta – das galt als Revolution. Was haben Sie gegen Vermischung?

Also erst mal: Von den Museen oder Theatern lebe ich ja, die zahlen meine Miete. Da findet kein Kampf statt, das ist die einzige Möglichkeit für mich, durch Auftragsstücke künstlerisch zu überleben, bei dem ganzen ökonomischen Druck. Als elektronischer Musiker ist man ohnehin eine Ich-AG, ich kenne niemanden, der nicht nebenher Festivals kuratiert, Ausstellungen macht oder Videoinstallationen. Man arbeitet an verschiedenen Fronten, das hat durchaus positive Effekte.

Bei Ihnen marschiert nicht der Beat durch die Institutionen, sondern elektronische Jazz-Adaptionen und Neue Musik. Das spiegelt sich dann in Stücken wie „Mäander (für Bassklarinette)“. Wieso diese merkwürdig altertümliche Betonung der Instrumentation?

Ich habe eine Vorliebe für Instrumente, deren Transponierfähigkeit gut am Computer errechnet werden kann. Weil man tiefere Töne leichter nach oben als hohe Töne nach unten bekommen kann. Daher schätze ich Cello und Bassklarinette.

Sie schreiben Musik, die genau auf die Person zugeschnitten ist, die das Instrument spielt – also für ein Gegenüber?

Die Stücke sind grafisch notiert. Ein anderer Bassklarinettist würde das Stück wahrscheinlich vollkommen anders interpretieren als Burkhart Kunkel. Es wird dann schon viel geredet. Ich habe den Rahmen vorgegeben, er hat gespielt. Ich habe den Klang nachbearbeitet, der Ton kommt von ihm.

Dann ist für Sie der Komponist heute eher ein Producer?

Es geht um den Umgang mit dem Archiv. In der Clubmusik werden zum Beispiel die Strings aus dem Philly-Soul gesampled, um eine bestimmtes Gefühl von Euphorie zu erzeugen. Das funktioniert einmal, also wird es hundertmal wiederholt, in hunderten von Ländern, auf tausenden von Maxis. Mein Vorgehen ist dagegen: „Blind (für Celloquintett)“ zitiert eindeutig Arnold Schönberg, den Quintakkord aus dem zweiten Streichquartett: Der erste polytonale Akkord der Musikgeschichte, der bei mir über 22 Minuten zelebriert wird. Es ist zwar Zitat, hat aber nichts mit Sampling zu tun, sondern mit Analyse.

Der Komponist sitzt während den Proben vor dem Orchester und murmelt Schlechtes über den Dirigenten. Ich wende lieber die Augen vom Bildschirm ab und schaue auf die Straße.

Ist da nicht auch ein Bedürfnis nach neuen Orten: Hochkultur meets Improvisation?

Und am Ende spielt Marsalis Bach …

Bei Ihnen war der Wunsch doch auch da – wieso?

Seitdem ich 18 bin, lese ich Musiktheorie. Und aus dem Blickwinkel der Theorie wird Musik irgendwann auch künstlerisch interessanter und komplexer. Dann landet man zwangsläufig bei der Neuen Musik, von mir aus auch bei einigen Spielarten von Free Jazz. Da wird es sehr schwierig, wieder zurückzukommen: Man kann das nicht vom Gefühl her verstehen, auch wenn ich ganz gerne möchte, dass meine Musik wieder ein bisschen mit dem Bauch zu verstehen ist. Es ist zwar ein Klotz. Aber manchmal denke ich mir, dass es schon noch jemanden geben kann, der diese Platte kauft, obwohl er sonst Techno hört. Auch Kammermusik sollte sich in der Realität spiegeln.

Das heißt: Man muss ständig übersetzen. Schönberg in den Computer, Neue Musik in Techno und den Club in Auftragskompositionen?

Es gibt Auseinandersetzungen mit musikalischen Traditionen, an denen kein Musiker vorbeikommt. Dub, Soul – irgendeine musikalische Wurzel existiert immer. Das ist ja bei Clubmusik auch sehr schön, können alle zu tanzen, da habe ich nichts gegen. Nur ist die ganze dazugehörige Kultur musikalisch gesehen ein Phänomen, das einen auf Dauer erstickt. Es gibt da kein Interesse mehr außerhalb der geraden Bassdrum. Deshalb suche ich mir meine eigenen Alternativen.

In letzter Zeit wurden das WDR-Tonstudio oder die Arbeiten von John Cage und dem frühen Stockhausen wieder entdeckt. Wie stark ist bei Ihnen der Hang zur Musikarchäologie?

Wenn man am Computer arbeitet und nur zwei Schritte hinter die Logik der Algorithmen geht, landet man zwangsläufig bei Iannis Xennakis und einem völlig abgehobenen Neue-Musik-Diskurs. Digitale Musik ist in diesen Zirkeln entstanden, mit Subventionsgeldern, an teuren Geräten. Auf einmal gab es Anfang der Neunzigerjahre den Personal Computer: Damit war die Produktionsweise der Neuen Musik praktisch über Nacht der weiten Welt des Pop zugänglich. Das ist irgendwie schon ein Wunder, das will erforscht werden.

Am Computer arbeiten auch Grafiker, Programmierer, Sound-Bastler – allesamt kulturelle Dienstleister für eine elektronische Zukunft?

Mit dieser neuen Soundart habe ich Probleme. Ich selber sehe mich als bildender Künstler: Meine „Plays“-CDs waren Konzeptkunst. Bei Klangspielereien, für die man sich ein paar Teile aus dem Baumarkt holt und sie wie im Physik-Grundkurs zur Klangerzeugung benutzt, sehe ich etwas wenig künstlerischen Anspruch. Das hat mich auch bei der „Frequenzen“-Ausstellung letztes Jahr im Frankfurter Städel genervt. Das ist im Prinzip wie die „Sendung mit der Maus“ …

Und – weil es nur Anschauungsmaterial für High-Tech liefert – auch nicht politisch?

Man kann das ganz materialistisch betrachten: Techno hatte keinen Mikrofoneingang, da ist Rhythmus die Botschaft. Man konnte mit den entsprechenden Geräten nichts selber aufnehmen, nur die Algorithmen reproduzieren. Aber jetzt gibt es Computer, an die man Mikros schalten kann – und schon entsteht eine neue politische Schnittstelle, die sich anders nutzen lässt. Seitdem wird Elektronik wieder mehr mit Gitarren verkoppelt, wird wieder mehr Pop. Wenn einem die Hihat nicht gefällt, macht man sie nun eben mit dem Mund. Das ist eindeutig eine Wendung zum Politischen.

An der geraden 4/4-Bassdrum ändert sich damit aber doch nichts.

Weil im guten Clubstück alles auf Wiederholung hinausläuft. Die Leute wollen bei einem Beat auf der Tanzfläche schreien, auch wenn sie die Melodie schon vor zwei Jahren gehört haben. Drum ’n’ Bass hat damit zwar noch erfolgreich experimentiert, ist aber mittlerweile auch im Nirvana des Egalseins angelangt.

Das passiert mit der geraden Bassdrum nicht, weil die gerade Bassdrum, wie Rainald Goetz sagen würde, der Herzschlag ist – den wird es immer geben. Housemusik gibt es seit den 70ern und wird es immer geben, solange es Schwule gibt.

Das Ballett, für das Sie komponieren, zählt nicht gerade zu den Errungenschaften der Clubkultur. Wer geht in Frankfurt zu Ihren Veranstaltungen?

Bei William Forsythe kommen bestimmt 60 Prozent der Besucher direkt aus den Clubs. Das Publikum sieht eher aus wie auf einem Laufsteg, wenn man sich die Abende anschaut. Das Alter der Zuschauer liegt auch eher bei 27, 28 Jahren. Da hat sich der Schritt längst vollzogen, das ist wundervoll.

Im Ernst?

Ballett ist für Clubgänger sogar viel interessanter als etwa Theater, weil es mehr mit den eigenen Körpererfahrungen zu tun hat, und es ist Glamour und Verlorenheit. Das kennt man vom letzten Wochenende: Das Forsythe aus Frankfurt vertrieben wurde, ist unerträglich. Es wird geradezu getrauert.

Also auch da: Ein Hunger nach Hochkultur?

Die Frage ist, wie ein 19-jähriger Housefan das wahrnimmt. Für den ist diese Unterscheidung doch gar nicht mehr nötig. Das ist an der Berliner Volksbühne doch genauso.

Aber die Love Parade findet deshalb ja noch nicht an der Staatsoper statt. Warum müssen diese unterschiedlichen Milieus denn überhaupt verschmolzen werden?

Ich halte das für eine Lebensaufgabe. Die großen kulturellen Institutionen müssen sich wieder mehr öffnen, man muss sich diese Institutionen auch wieder zurückerobern.

Das sind knallharte politische Auseinandersetzungen, wenn man dafür Gelder haben will, die sonst selbstverständlich etablierten Theatern zur Verfügung stehen. Mittlerweile erwirtschaften ja Theater Geld über Clubveranstaltungen, da kann noch viel mehr kommen.

Geht die Entwicklung deutscher Großstädte nicht in die umgekehrte Richtung? Kulturpolitik wird wieder stärker konservativ gestaltet – oder als Lachsbrötchen-Entertainment, wie neuerdings in Hamburg.

Die wollen zurück in die Fünfzigerjahre. Auch in Köln ist das extrem geworden mit dem Abriss der Kunsthalle: Da kann man jetzt mit dem Hund Gassi gehen. Da findet eine Konterrevolution im Namen des Sparens statt, das wächst sich allmählich zu einem richtigen Kulturkampf aus.

Was auf mehr Dienstleistung hinausläuft?

Die Lounge im Theater? Wenn es auf Ambient hinausläuft, dann ist das meistens totaler Mist. Wenn man damit eine Tür etwas weiter aufmacht, indem man etwa Parallelen hin zu freieren Musiken, zu den Dingen hinter den Takten sucht, ist das aber gut. Wer besitzt denn das Theater? Darum soll es bei Musik auch gehen: Die Menschen sollten sich zurückholen, was ihnen eigentlich gehört.