piwik no script img

Balkan-Vorschlag der KommissionWirbel um EU-Visaregelung

Der EU-Außenbeauftragte Solana versucht, in der Region den Vorschlag der Kommission schmackhaft zu machen. Die Grünen im Europaparlament beantragen eine Debatte.

Ein bisschen blass ist er dann doch geworden. Javier Solana, der langjährige EU-Außenpolitiker auf Abruf, versuchte am Dienstagabend auf einer Pressekonferenz in Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo, die Visa-Entscheidung der EU gegenüber den Ländern des westlichen Balkan zu begründen. Nach dem Vorschlag der Kommission sollen die Bürger Serbiens, Montenegros und Makedoniens ab 1. 1. 2010 visafrei in die EU einreisen dürfen. Die Bürger Bosnien und Herzegowinas, Kosovos und Albaniens jedoch nicht. Dieser Vorschlag hatte in den letzten Tagen nicht nur in den betroffenen Staaten für Unmut gesorgt, sondern auch in den Ländern der EU.

Solana war bemüht, die Frage der Visafreiheit als eine technische Angelegenheit einzustufen, und wollte von politischen Implikationen nichts wissen. Alle Länder, die die Voraussetzungen erfüllten, könnten in den Genuss der Visaregelung kommen, erklärte er. Er wollte jedoch nicht darauf eingehen, dass Bosnien und Herzegowina in der Frage der biometrischen Pässe genau so weit ist wie das jetzt begünstigte Serbien. Und auch nicht auf die politische Seite der Debatte.

Bosnische Kroaten und Serben haben jetzt schon das Recht auf Doppelstaatsbürgerschaft und damit das Recht, neben dem bosnischen Pass einen kroatischen oder serbischen Pass zu erhalten. Bosnische Kroaten können ohnehin schon mit einem kroatischen Pass in die EU reisen, mit der neuen Regelung dürfen dies auch bosnische Serben. Übrig blieben die Bosniaken, die bosnischen Muslime.

Auf die Frage, wie er den Müttern von Srebrenica erklären will, dass sie langwierige Prozeduren über sich ergehen lassen müssen, wenn sie ein Visum beantragen wollen, die 800 namentlich bekannten Täter des Massakers von 1995 aber nicht, antwortete Solana: "Es gibt viele gute Menschen in der Welt, die nicht ihr Land verlassen können, und es gibt viele schlechte Leute, die alle Freiheiten genießen." Diese Antwort wurde von vielen anwesenden Journalisten als zynisch und skandalös empfunden.

In der Tat müssen sich die bosnischen Muslime jetzt in doppelter Weise diskriminiert fühlen. Denn es waren die bosnisch-serbischen Politiker unter Milorad Dodik, die viele Gesetzesvorhaben hinsichtlich der EU-Forderungen zu Fall gebracht haben und damit die Visaregelung für Bosnien behinderten. Ausgerechnet sie würden belohnt, während die Bosniaken die Zeche für diese Politik zahlen müssen.

In Bosnien ist die Enttäuschung in Resignation und Wut umgeschlagen. Die Leute, so berichten Gesprächspartner aus Sarajevo, meinten, Europa schlage gegenüber den europäischen Muslimen auf dem gesamten Balkan die Tür zu. Das bosnische Präsidiumsmitglied Haris Silajdzic und die Führung der bosniakischen Partei SDA wollen aus Protest ihre Diplomatenpässe zurückgeben.

Im Kosovo ist die politische Führung zurückhaltender, auch wenn die Kosovoserben nun in den Genuss der Visaregelung kommen werden und die Albaner nicht. Man gibt zu, bei den technischen Voraussetzungen im Verzug zu sein. Das soll jetzt so schnell wie möglich verbessert werden. Das Gleiche gilt für Albanien. Beide Führungen wollen offenbar nach außen hin nicht bei den Politikern in Brüssel anecken.

Unterdessen findet eine Unterschriftenkampagne, die unter anderem von Tobias Bütow von der Heinz-Schwarzkopf-Stiftung angeregt wurde und die Reisefreiheit für alle fordert, große Unterstützung. Zu den Erstunterzeichnern gehören Daniel Cohn-Bendit (MEP, Grüne) Christian Schwarz-Schilling (CDU, früherer Hoher Repräsentant in Bosnien), und Marieluise Beck (MB, Grüne). Neben mehreren hundert anderen Persönlichkeiten und Organisationen hat nun auch Doris Pack (CDU, langjährige Vorsitzende des Ausschusses für Südosteuropa im Europaparlament) unterschrieben.

Die Grünen im Europaparlament wollen in der nächsten Woche die Visafrage zum Thema machen. Ein negatives Votum des Europaparlaments könnte von der neuen Kommission nicht ignoriert werden, ist die Hoffnung der Gegner der EU-Visaregelung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

4 Kommentare

 / 
  • AL
    Agilis Lux

    Bei Serben, Montenegrinern und Makedoniern kann berechtigterweise von einer parlamentarischen (wenn auch nicht gerade demokratischen) Tradition ausgegangen werden bei der so eine Art Administration hinter der Durchführung von Visaregulationen ausgegangen werden. Erich R. kann doch nun nicht ernsthaft davon ausgehen das dies in Bosnien oder gar in dem willkürlich als unabhängiger Staat anerkannten Kosovo der Fall ist.

  • H
    Hanuma

    Lieber Herr Gober,

     

    Sie scheinen angeblich richtig informiert zu sein. Dann klären Sie uns doch mal bitte auf, was es denn für Gründe geben soll, einem Menschen aufgrund seiner Religion, zu der man sich mehr oder weniger hingezogen fühlt oder auch nicht, egal, nicht die gleichen Menschenrechte zu gewähren wie dem Rest, der es übrigens zum guten Teil, wenn man nach der Gerechtigkeit gehen will, nicht verdient hätte, privilegiert zu sein.

     

     

    Sie fahren schwere Geschütze auf, klar waren die Bomben, vor allem auf die Zivilbevölkerung, nicht zu rechtfertigen. Da hätte man schon mal 1991 in Kroatien oder spätestens 1992 in Bosnien mal kapieren sollen, was da vor sich geht MITTEN IN EUROPA und angemessen reagieren und sich nicht memmenhaft verhalten sollen.

     

    Aber dises gleich mit dem Visum in Verbindung zu bringen, finde ich ein bisschen makaber.

    Etwas mehr Respekt gegenüber den Benachteligten würde Ihnen nicht schaden!!!!

     

    Gruss

  • A
    aLena

    Was ist das für eine komische bemerkung? wenn 60% der Bosnischen bevölkerung problemlos ausreisen darf dann wieso nich auch die restlichen 40% der Bevölkerung? Moslem heisst noch lange nicht Terrotist also sollte diese freiheit auch für die bosnische Minderheit gelten! dem sagt man Gleichberechtigung.. immerhin büssen die Leute in Bosnien am meissten wegen Dodik und dem seine Leute geniesen jetzt alle Freiheiten. Super Demokratie!!! Geile Bürokratie aber null Menschenverstand! Gleiche Rechte für alle!

  • DG
    Dirk Gober

    Tja, vielleicht sollten sich die im Artikel genannten Herrschaften und der Oberpropagandist Rathfelder mal darüber Gedanken machen, warum man den Bosniern und den Kosovaren keine Visafreiheit gewähren will...

    Oder will Rathfelder deswegen jetzt schon wieder Bomben auf Belgrad fordern, wie es dieser Kriegshetzer am liebsten sähe?