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Archiv-Artikel

Bahnverkauf: Unkalkulierbare Risiken

Der Kongress „Die Bahn ist keine Ware“ diskutierte in Berlin, wie der Börsengang doch noch zu verhindern ist. Aktivisten sehen gesteigerte Chancen. Den zu erwartenden Einnahmen stehen mehrfache Belastungen für den Bundeshaushalt gegenüber

AUS BERLIN STEPHAN KOSCH

Bahnkongress in Berlin. Der große Saal des alten Kinos Babylon, in dem knapp 500 Leute Platz finden, ist übervoll. Das Publikum, das gerade die Premiere eines Dokumentarfilms über die Bahnprivatisierung gefeiert hat, ist buntgemischt: unzufriedene Bahnkunden aus dem Schwäbischen, Professoren aus Trier, Marburg oder Coburg, Basisgruppen des Netzwerkes Attac oder Mitarbeiter der Berliner S-Bahn. Seit dem Morgen diskutierten sie, wie es doch noch zu schaffen ist – den Börsengang der Bahn doch noch zu stoppen. Und sie haben tatsächlich eine Chance gefunden.

„Der Börsengang hat keine Mehrheit“, berichtet der SPD-Politiker Hermann Scheer aus seiner Bundestagsfraktion. Er hat gemeinsam mit einigen Kollegen aus dem Parlament seinen Genossen eine Diskussion aufgezwungen, die eigentlich schon beendet schien. Seit 1994, dem Beginn der Bahnreform, stand das Ziel fest: Die mit der Deutschen Reichsbahn der DDR verschmolzene Bundesbahn sollte an die Börse. Die Hoffnung: Eine privatisierte Bahn ist effizienter, bringt mehr Service und kostet den Steuerzahler weniger.

Tatsächlich wurden seitdem über 5.000 Kilometer Schienenstrecke stillgelegt und 400 Bahnhöfe geschlossen. Vier von fünf Kunden sind unzufrieden. Und dem Steuerzahler drohten weitere Milliardenkosten, sagt Scheer. Der Beleg dafür: Ein Gesetzentwurf zur Privatisierung, der seit der vergangenen Woche in den Ministerien vorliegt und morgen Abend auch die Koalitionsrunde beschäftigen soll.

Danach bleibt der Staat zwar juristischer Eigentümer des Netzes, die Bahn und ihre künftigen Anteilseigner bekommen allerdings für 15 Jahre die wirtschaftliche Hoheit. Sie ist auch dafür verantwortlich, dass die Gleise in Ordnung bleiben, das Geld dafür kommt aber vom Staat. Zehn Jahre lang mindestens 2,5 Milliarden pro Jahr – macht 25 Milliarden Euro Belastung. Hinzu kommen die Kosten für Neubauten, die Übernahme der auf dem Netz liegenden Schulden und eine milliardenschwere „Entschädigung“ für die Deutsche Bahn, wenn der Bund nach den 15 Jahren des Netz selbst managen will. Der Preis bemisst sich nach dem dann geltenden „Verkehrswert“.

Diesen unkalkulierbaren Risiken gegenüber stehen erwartete Einnahmen von etwa drei Milliarden Euro, die der Verkauf von zunächst 25 Prozent seiner Anteile bringen würde. Dabei schätzen Experten den tatsächlichen Wert der Infrastruktur mit all seinen Innenstadtimmobilien auf mindestens 100 Milliarden Euro.

„Eine Privatisierung macht angesichts der zu erwartenden Erlöse keine Sinn“, sagt Stefan Heimlich, Bahnexperte bei der Gewerkschaft Ver.di. Zumal auch für die Beschäftigten die Situation problematischer werde. 100.000 Stellen wurden seit der Bahnreform abgebaut, auf den Übrigen laste der Renditedruck. Deshalb, so Heimlich, hätte sich das oberste Gewerkschaftsgremium, der DGB-Bundesvorstand, auch kürzlich gegen eine Bahnprivatisierung ausgesprochen. Das brachte zwar die Spitze der Bahngewerkschaft Transnet in die Bredouille, weil die sich einen Börsengang vorstellen kann und erst gestern den Gesetzentwurf begrüßte. Gleichzeitig haben die Privatisierungsgegner nun mächtige Verbündete mit heißem Draht in die SPD-Spitze.

Das macht der Basis der Privatisierungsgegner Hoffnung. „Vor einem Jahr hätte ich uns eine Chance von drei Prozent eingeräumt, die Privatisierung zu stoppen“, ruft Winfried Wolf, Sprecher der Initiative „Bürgerbahn statt Börsenbahn“ dem Publikum im Babylon zu. „Heute sind wir bei mindestens 30 Prozent.“ Und damit die Chancen wachsen, wollen sich die vielen Initiativen zukünftig besser koordinieren. Erst einmal auf einer neuen Homepage, über die Spenden gesammelt, Protestmails verschickt und Demonstrationen organisiert werden sollen. „Öffentlicher Druck ist notwendig“, sagt Scheer. Aus jedem Wahlkreis sollen die Bundestagsabgeordneten zu Stellungnahmen gezwungen werden. Nicken im Auditorium. Und dann setzt Scheer noch einen drauf und schimpft auf den Bahnchef. „Für eine neue Bahnpolitik gehört Hartmut Mehdorn entlassen.“ Das Babylon tobt.

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