Bad Taste-Film: Der Erfolg des dicken Dings
Der Remix des legendären Films "Hairspray": John Travolta wird im Fatsuit zu Diva Divine und Michelle Pfeiffer gibt die zum Nägelabbeißen nervige Zicke.
E in Ort, wo man nicht mal als Bild hängen möchte: das provinzielle Baltimore, Maryland, John Waters-Fans als seine Heimatstadt bekannt, mit der den kultiviertesten aller Underground-Regisseure eine Hassliebe verbindet. Seine Filme spielen fast ausschließlich hier in dieser durch hohe Kriminalitätsraten bekannten Hafenstadt.
Als Waters seiner Muse Divine 1988 die Rolle der Edna Turnblad auf den Wanst schrieb, entstand einer seiner kommerziell erfolgreichsten Filme: "Hairspray" ist eine mit spitzenmäßigem Frühe-60er-RnB angereicherte Satire auf die Segregation in den USA. Das moppelige, glückliche, naive weiße Schulmädchen Tracy Turnblad will unbedingt bei der "Corny Collins Show" eines lokalen Fernsehsenders mitmachen, in der täglich saubere weiße Jugendliche ihre Moves und Twists zu weißer Rock-n-Roll-Musik zeigen. Zum Ärger der momentanen Teenage Queen der Show, Amber von Tussle, und ihrer ehrgeizigen Mutter Velma schafft es das dicke Ding tatsächlich in die Show, und ihre - vorher beim Nachsitzen von ein paar schwarzen Groovern abgeguckten - Schritte bescheren ihr nicht nur die Bewunderung von Ambers Freund, sondern ihre mutigen Vorstöße setzen in Baltimore eine Menschenrechtsbewegung in Gang, bei der am Ende sogar Mutter Edna mitmarschiert.
Genau zwanzig Jahre nach dem Erscheinen des Waters-Films ging die Musicalfassung von "Hairspray" zuerst in Seattle und dann in New York auf die Bühne. Die Musik stammte von Marc Shaiman, und das originalgetreu groteske, musikalisch wunderbar sarkastische Stück gewann in acht Kategorien einen "Theater-Oscar" Tony.
Die bereits 1988 verstorbene Divine, so zetern US-amerikanische Schwulenrechtler, würde sich im Grab umdrehen, wüsste sie, wer ihre Drag-Queen-Paraderolle bekam: Ausgerechnet Scientology-Mitglied John Travolta stieg für die nun von Adam Shankman neu verfilmte Musicaladaption in einen kiloschweren Fatsuit und spielt Edna, Tracy Turnblads verschüchterte, beleibte Mutter. Dass Scientologen außer ihrem sonstigen Knall auch noch schwulen- und lesbenfeindlich sind und schon mal versuchen, "fehlgeleitete" Schäfchen durch ihre kruden Spezial-Methoden zu "heilen", ist bekannt - wie geschmacklos ist es also, dass ein prominentes Sektenmitglied wie Travolta ausgerechnet eine der erfolgreichsten Schwulen- und Dragrollen übernimmt? Aber genau so eine Geschichte muss der bekennende Bad-Taste-Fan John Waters natürlich goutieren. Und so ehrte der Regisseur die Musicaladaption auch mit einem typischen Cameo-Auftritt als Flasher: In Tracy Turnblads Eröffnungssong "Good Morning Baltimore", in dem das füllige Füllen fröhlich singend zur Schule trampelt, während um sie herum Besoffene in Kneipen verrotten und verfilzte Ratten sich um Fleischbrocken fetzen, öffnet ein Mann (Waters) seinen Mantel mit nichts drunter vor ein paar schockierten älteren Damen.
Er hat Recht: Nicht mal für puritanischste Waters-Jünger gibt es einen Grund, diesen Film nicht zu mögen. Er schwappt über vor wuchtigen Waters-Gags wie der "Mother, youre so Fifties!"-Spruch der pubertierenden Tochter und das permanente, hustenreizbefördernde Sprühen der FCKW-Dosen auf die turmhohen Beehives. In Tempo und Eleganz orientiert er sich zwar an viel moderneren Filmen als Waters getragenere, langsamere und weniger glamouröse, dafür dreckigere und trashig-authentische Originalversion, lässt jedoch seinen persönlichen, fröhlich-anarchistischen Humor und seine perfide Gesellschaftskritik überall durchblicken. Natürlich kann eine auch im wahren Leben außerhalb der Konventionen stehende Person wie Divine einem solchen Film mehr mitgeben als Travolta, zumal dem plump gewordenen Ex-Disco- und Ex-Tarantino-Star in Fatsuit und Gesichtsmaske ohnehin kaum noch Platz zum Spielen bleibt. Aber der Rest des Casts gibt dafür umso mehr: Michelle Pfeiffer als zum Nägelabbeißen fiese Zicke, Christopher Walken als rührender Scherzartikelladenbesitzer, Queen Latifah als schwarze Seele der weißen Show guckt man sich genauso gern an wie die Originale. Das Erstaunlichste ist allerdings, dass "Hairspray" es schafft, das musicaltypische Handlungserschlaffen während der Songs zu umgehen, weil immer wieder neue böse Gags und neue, brüllend komische Bilder aufmarschieren, während die Protagonisten ihre Befindlichkeiten besingen.
Der neue "Hairspray" ist eine mit dickem Glitzerstift geschriebene Hommage an einen Camp-Film, in dem Idiotie durch Überzeichnung lächerlich gemacht wird. Durch diese Verbeugung des spießigen Hollywoods kann John Waters sich geehrt fühlen. Und sich angesichts der Subversion zu Recht eins ins wohlmanikürte Fäustchen lachen.
"Hairspray". Regie: Adam Shankman. Mit John Travolta, Michelle Pfeiffer, Christopher Walken, Queen Latifah u. a., USA/UK 2007, 117 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann