BUNSENBRENNER: Zwei linke Hände
■ Rechtshänder rätseln um die Linkshändigkeit
Neunzig Prozent aller Menschen sind rechtshändig. Nur zehn Prozent müssen mit zwei „linken Händen“ in unserer von und für Rechtshänder entworfenen Welt auskommen. Wo der Ursprung der Linkshändigkeit liegt, ist eine Frage, an der die Wissenschaftler schon seit langer Zeit herumrätseln. Ein irisches Forscherteam machte eine Entdeckung, die jenen Recht gibt, die Linkshändigkeit für genetisch bedingt halten.
Das Team beobachtete 224 Föten mittels Ultraschall in der Gebärmutter beim Daumenlutschen. Nur zwölf der „Versuchspersonen“ lutschten am linken Daumen. Die anderen 212 Ungeborenen zogen den rechten Daumen vor. Die Lage der Föten im Mutterleib spielte bei der Wahl der Daumen keine Rolle, und die Lutscher blieben ihrem Daumen durch die gesamte Schwangerschaft hindurch treu.
Studienleiter Peter Hepper vermutet, daß eine ursprüngliche genetische Vorbelastung zur Wahl des linken bzw. rechten Daumens veranlaßt. Die Lutscher festigen den Hang zur bevorzugten Hand dann schon im Mutterleib. Die linke Hirnhälfte dirigiert die rechte Seite des Körpers und umgekehrt die rechte Hirnhälfte die linke Seite. Durch eifriges Nuckeln des Daumens, mutmaßt Hepper, stimulieren die pränatalen Lutscher die Entwicklung der entsprechenden Hirnhälfte. Und so kommen wir mit einer festverankerten Bevorzugung unserer linken bzw. rechten Seite zur Welt.
Doch Psychologe Stanley Coren von der kanadischen Universität British Columbia ist anderer Meinung. Linkshändigkeit wird erworben, so Coren, und zwar im Mutterleib und während der Geburt. So verdoppele sich die Wahrscheinlichkeit, daß ein Baby zum Linkshänder wird, wenn die Mutter eine schwierige Schwangerschaft oder Geburt hatte. Unzureichende Ernährung während der Schwangerschaft und ein Kaiserschnitt stressen den Fötus genug, um ihn zum Linkshänder zu machen. Die Iren irren schon deshalb, meint Coren, weil sie zu wenig linkshändige embryonale Daumenlutscher ausfindig machten. Nur fünf Prozent der irischen Babies lutschten links, doch zehn Prozent der Bevölkerung ist linkshändig. Coren glaubt, daß einige der frühen Rechtshänder im Laufe einer schwierigen Geburt zur linken Hand wechseln. Zunächst müssen die Forscher untersuchen, ob die fötalen linken Daumenlutscher tatsächlich zu Linkshändern werden. Die Frage „Gene oder Umwelt?“ wird wohl auch in diesem Punkt mit „Gene und Umwelt“ beantwortet werden. Daß Linkshänder bereits im Mutterleib besonders gestreßt werden, ist übrigens äußerst unfair. Wer linkshändig ist, kommt offensichtlich aus dem Streß zeitlebens nicht mehr raus. Linkshänder werden angeblich in ihrer rechtslastigen Umgebung immerhin so weit benachteiligt, daß sie öfters das Opfer, zum Teil tödlicher Unfälle werden. Silvia Sanides
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