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Archiv-Artikel

BITTE NICHT STÖREN: DAS SICH ZUMINDEST OPTISCH KLONARTIG ÄHNELNDE DREAMTEAM CAMERON/CLEGG VERSTRÖMT FAMILIÄRE INTIMITÄT What a joke!

JULIA GROSSE

TRENDS UND DEMUT

Stellen Sie sich vor, morgen wäre Bundestagswahl. Deutschland würde seit Ewigkeiten allein regiert, mal von den Sozialdemokraten, mal von der CDU. In der heißen Phase des Wahlkampfs würde Angela Merkel gefragt werden, ob ihr ein guter Witz einfällt. „Klar. Guido Westerwelle!“ Wenige Wochen später käme es dann ausgerechnet und völlig unerwartet zu einer Koalition von CDU und FDP. Klingt erst recht wie ein Witz?

So genau ist es in Großbritannien passiert. Auf die Frage nach einem guten Joke entgegnete der Tory-Chef und neue Premier David Cameron: „Nick Clegg!“ Jetzt koalieren die beiden.

Als das neue, sich zumindest optisch klonartig ähnelnde Dreamteam (dieselben Initialen, dieselbe Anzuggröße) letzte Woche vor dem Geprassel der internationalen Kameras starke Zusammengehörigkeit demonstrierte, hatte man als Nichtbrite das Gefühl, unerlaubt in eine sehr private Familienangelegenheit geplatzt zu sein. Bitte nicht stören!

Die Briten staunen noch! Betrachten ihr neue „Koalition“ mit vergleichbarem Entzücken wie ein Neugeborenes: Stammelt, strahlt, sieht komisch aus. Viele Briten haben vom Wort „Koalition“ bis vergangene Woche noch nie etwas gehört. Mit ihrem einfachen Mehrheitswahlrecht konnte eine Partei mit einem Drittel der Stimmen allein regieren, obwohl zwei Drittel der Briten gegen Sie gestimmt hatten. Doch nun kam ja alles anders. Keine Partei hatte ausreichend Sitze erlangt.

Überraschung!

Es war einer der seltenen merkwürdigen Momente in einem sonst so durchorganisierten, durchkontrollierten Land, in dem alle überrascht waren. Die sonst so unerträglich großmäuligen Medien, die altklugen Kommentatoren am Wahlabend, die ewig stänkernden Parteien. Fakt ist: Hätte es die TV-Debatten, eine Weltpremiere im britischen Fernsehen, nicht gegeben, würde das Land heute nicht von einer Koalition regiert. Denn die vollkommen unerwartete Charismaexplosion des Lib.Dem-Chefs Clegg und die darauf folgende Hysterie brachte alles und jeden völlig aus dem Konzept. Und die britischen Wähler steckten plötzlich in der Populärkulturfalle: Eigentlich fanden sie diesen Clegg ja total sympathisch. Ein authentischer, charmanter Entertainer in einer düsteren Politiklandschaft. Wenn nur seine Ansichten nicht so arg links wären!

David Cameron riss seinen undiplomatischen Clegg-Witz, weil er es konnte. Bisher. Pubertäres Stänkern und Pöbeln gehören in der britischen Politik traditionell zum guten Ton und konnten in den vergangenen Jahrzehnten in aller Ruhe perfektioniert werden. Immerhin bestand nie die Gefahr, jemals miteinander regieren zu müssen! Dass sich nun ausgerechnet die Linken und die Konservativen Tag für Tag respektvoll in die Augen schauen und einen Konsens nach dem anderen finden müssen, ist der wahre Witz, dessen unschlagbare Pointe David Cameron so langsam dämmert.

■ Julia Grosse ist Kulturreporterin der taz in London