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Archiv-Artikel

BIRGER HEYMANN (1943–2012) Seine Musik machte Schwache stark

Er war eine Berliner Pflanze, genauer gesagt eine Westberliner Pflanze: der Komponist Birger Heymann, typisches Kind jener wundersamen, untergegangenen Stadt, wo „in allen Himmelsrichtungen Osten“ war. So brachte es 1986 sein Freund und der Autor seiner bekanntesten Lieder, Volker Ludwig, im weltberühmt gewordenen Musical „Linie 1“ auf den Punkt, für das Birger Heymann die Musik und vor allem die schmissig-bissig-poetischen Songs schrieb. Für viele Exemplare des homo westberlinensis fand er hier eine unverwechselbare Tonlage: für junge Hoffnungslose und alte Nazis, Spießer, Punks, Weltflüchtlinge und Alltagspoeten.

Heymann war auch ein Achtundsechziger im besten Sinne, 1943 in Kreuzberg geboren und nach einem klassischen Musikstudium (Klavier und Gitarre) bald in einer eher unklassisch orientierten Szene aktiv. Denn das Klassische samt seiner Bildungs- und sonstigen Ideale, war seit der Nazizeit durch das Bürgertum korrumpiert.

So begann Heymann Anfang der 1960er in der Kabarettszene Westberlins, bei den „Wühlmäusen“ erst, dann beim Studentenkabarett „Bügelbrett“ in der Hardenbergstraße. Gegen Ende der Roaring Sixties kam Heymann zum „Reichskabarett“, das in einer Wilmersdorfer Kneipe an der Ecke Uhlandstraße/Ludwigkirchstraße beheimatet war, eine damals legendäre Hippie-Sponti-Polit-Kunst-Begegnungsstätte. Dort traten Künstler wie Hannes Wader, Ulrich Roski, Reinhard Mey oder Ortrude Beginnen auf. An den Wochenenden gab es gesellschaftskritisches Kindertheater, verantwortet unter anderem von den Brüdern Rainer und Eckart Hachfeld, für deren Stücke Heymann Musik zu komponieren begann – besonders für Eckhart Hachfeld, der als „Volker Ludwig“ schrieb. Aus dem „Reichskabarett“ ging Anfang der 1970er Jahre schließlich das Grips Theater hervor, das erste Theater, das ausschließlich für Kinder spielte.

Natürlich war das „Kind“, wie man es im Grips erfand, ein ideologisches Konstrukt – allerdings ein hochsympathisches, fanden doch die Zeitgenossen vom Kind das revolutionäre, unangepasste und kreative Sponti-Ideal jener Jahre am vollkommensten verkörpert: „Manchmal hab’ ich Wut / dann muss ich was kaputthaun“, ließen Heymann und Ludwig es singen. Lieder, in deren Musik Heymann die demagogische Kraft des Agitprop mit dem Schmelz des Schlagers zu eingängigen Hits verband: Dem Agitprop nahm er das Dogmatische und dem Schlager das Verlogene, zumindest meistens.

Schon nach einer Strophe klangen viele seiner Lieder so, als hätte man sie ein Leben lang gekannt. Eigen war ihnen eine große Menschenliebe, Empathie und ein zärtlicher Blick auf menschliche Schwäche, die in Stärke zu verwandeln Heymanns Musik (im Verbund mit Ludwigs Texten) immer ermutigte – und dabei noch dem zertretensten Mauerblümchen ein „Du bist schön!“ zurief. Mit 69 Jahren ist Birger Heymann am Mittwoch in einem Berliner Krankenhaus gestorben. ESTHER SLEVOGT