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Archiv-Artikel

BIOLOGISCH-DYNAMISCHES BROT AUS UNVERZÜCHTETEN SORTEN UND INTERESSIERTER SELBSTGEFÄHRDUNG Alle wollen ein Prima Klima

Gesunde Esser, kranke Bäcker

VON HELMUT HÖGE

Neulich erwarb ich in der Pankower Museumsbäckerei ein „dreistufiges Sauerteigbrot mit Lichtkornroggen“, Holzofenbrot genannt. Die Backstube mit Direktverkauf gibt es seit 1875, seit 2006 gehört sie zur Neuköllner Landbrot-Bäckerei.

Diese wurde 1930 gegründet. 1981 übernahm sie der Ökonom und Bäcker Joachim Weckmann, ein Anhänger der Anthroposophie. Sein „Märkisches Landbrot“ stammt denn auch aus biologisch-dynamischem Demeter-Anbau. Seit der Wende werden Lieferanten aus dem Umland bevorzugt. Die Brotzutaten – Möhren und Milchprodukte – kommen vom Demeter-Hof des Ökodorfs Brodowin.

In der Museumsbäckerei liegt eine Broschüre aus: die Landbrot-Fibel. Ihr ist zu entnehmen, dass der Betrieb nahe der Sonnenallee seinen „Ökostrom“ aus einer Photovoltaikanlage bezieht und sein Brauchwasser mit einer Wasserbelebungsanlage „heilt“ – nach einem Verfahren des japanischen „Alternativmediziners“ Masuro Emoto, der sich auf Wasserforschungen des österreichischen Oberförsters Viktor Schauberger stützt.

Von der anderen Seite kommt über Rudolf Steiner die Berücksichtigung der Gestirnkonstellationen beim Getreideanbau. Während es unter der Erde um das Bodenleben und die Saatgüte geht, wobei man auf „nicht verzüchtete Sorten“ setzt, wie Dinkel oder Bergroggen. Deren Korn wird später unter langsam drehenden Steinen gemahlen. Das Mehl verarbeitet man dann mit Wasser und „Milliarden von Milch- und Essigsäurebakterien sowie Hefe“ zu einem Sauerteig. Diese „Lebensgemeinschaft“ produziert Kohlendioxid, was den Teig auflockert. Der dient nach 17 Gärstunden als „Triebmittel“. Honig wird zugesetzt, um die Mikroorganismen anzuregen. Es sind vor allem Lactobazillen, sie wandeln den Getreidezucker in Milchsäure um.

Die Bäckerei Märkisches Landbrot verwendet für ihren Sauerteig „Lactobazillus sanfrancisco“. Dieser Einzeller stammt ursprünglich aus dem kalifornischen Ökozentrum, nach dem er benannt ist. Er spielt auch beim Ansetzen eines „Bio-Hefeteigs“ für leichtes Gebäck eine Rolle. „Konventionelle Bäckerhefe“ wird – da eventuell genmanipuliert – abgelehnt.

Zum Sortiment gehören auch noch „Essener-Brote“, angeblich eine Erfindung der „Essener“ am Toten Meer. Sie ließen das Korn keimen und erhöhten damit den Nährwert ihres Brotes, das von „natürlicher Süße“ ist.

In der Landbrot-Fibel findet man auch Hinweise auf das monetäre Engagement der Bäckerei. Im Inland wird das Geld verdient: Etliche Gastronomiebetriebe in Berlin und Umland sowie 250 Naturkostfachgeschäfte und Food Coops verkaufen Märkisches Landbrot. Auf der Ausgabenseite findet man eine Beteiligung an der Aktion BioBrotBox in Schulen, ferner die Belieferung einer Neuköllner Suppenküche sowie die Finanzierung der Wiederaufforstung von zehn Hektar Drachenbaum-Regenwald auf Madagaskar.

Obwohl die Gattin des madagassischen Präsidenten dafür den beiden Bäckerei-Geschäftsführern persönlich dankte, gilt das Projekt als gescheitert. Auch der Präsident wurde inzwischen gestürzt. Dafür kann das Märkische Landbrot aber nichts: Die praktische Umsetzung oblag der Waldretter-NGO „PrimaKlima“ in Düsseldorf. Dieser Verein hat weder mit der Schöneberger Reiseveranstaltungs-Kommune „Prima Klima“ noch mit der Schöneberger Firma für Klimaanlagen und Standheizungen in Pkws, die ebenfalls „Prima Klima“ heißt, etwas zu tun.

Was der Landbrot-Fibel nicht zu entnehmen ist: ob auch das „soziale Klima“ in der Bäckerei und bei den Zulieferern stimmt. Beim Demeterhof in Brodowin wurden diesbezüglich Bedenken geäußert – aus der Nachbarschaft. Zweifel an engagierten Managementmethoden hat jüngst der Schweizer Psychologe Andreas Krause auf einer Tagung in Berlin geäußert: Wenn die Unternehmensziele „Leistung aus Leidenschaft“ erfordern, arbeiten die Mitarbeiter wie Selbstständige, gucken nicht auf die Uhr, lassen sich nicht krankschreiben, nehmen Aufgaben mit nach Hause usw. Dabei setzen sie jedoch „Wohlbefinden und Seelenfrieden aufs Spiel“, das heißt, sie betreiben „interessierte Selbstgefährdung“.

Am Ende ist der Brotkonsument gesund und der Bäcker krank. In den normalen Backstuben ist es umgekehrt.