■ BGH: DDR-Richter nach DDR-Gesetzen beurteilen: Ein vages Gefühl von Recht
Die Verurteilung von Menschen, die in einem anderen System gelebt und gearbeitet haben, ist widersprüchlich. Sie befriedigt weder die Opfer, noch wird sie den Tätern gerecht. Kurz: Sie funktioniert nicht so recht. Natürlich geben das die Richter des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht zu. Natürlich meinen sie sich auf dem Boden klar geschlossener juristischer Argumentationen zu befinden.
Aber für den Laien dürfte kaum nachvollziehbar sein, weshalb heute Richter und Staatsanwälte freigesprochen werden, die in der DDR Menschen wegen „Republikflucht“ verurteilt haben, dieselben Richter und Staatsanwälte andererseits wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung verurteilt werden – weil sie Bürger wegen der Verbreitung oppositioneller Schriften oder der Flucht in die dänische Botschaft hinter Gitter gebracht haben.
Die Rechtsprechung des BGH ist der redliche Versuch – und das ist den Richtern unbedingt abzunehmen –, rechtsstaatliche Urteile zu fällen. Maßstab für sämtliche Entscheidungen ist das Rückwirkungsverbot, wonach heute nicht bestraft werden darf, was damals nicht strafbar war. In dem Versuch, dieses wichtigste der rechtsstaatlichen Gebote anzuwenden, haben die Richter bestimmte Kriterien entwickelt. Nur jene DDR-Richter oder -Staatsanwälte sollen bestraft werden, die willkürliche Urteile gefällt, übermäßige Strafen ausgesprochen oder die geltenden Strafgesetze überdehnt haben. So redlich diese Kriterien auch sein mögen, ihre Anwendung auf die Einzelfälle macht nur zu deutlich, daß am Ende die Entscheidungen doch nur auf einem vagen Gefühl von Recht oder Unrecht beruhen.
Die Urteile des BGH in Sachen Rechtsbeugung sind auch der Versuch, sich abzugrenzen – von den Freisprüchen, die die symbolischen Väter der jetzigen Richter am BGH den NS-Richtern und -Staatsanwälten haben zugute kommen lassen. Auch jene früheren BGH-Richter hatten das Rückwirkungsverbot zum Maßstab genommen. Sie hatten es aber als Entschuldigung herangezogen, um alle NS-Juristen freizusprechen, weil deren Morde systemimmanent Rechtens waren. Bloß: Eine Abgrenzung von dieser Rechtsprechung setzt voraus, daß man explizit formuliert, worin genau man sich unterscheiden will. Erst dann ließe sich wirklich sagen, ob die heutigen Urteile Rechtens oder nicht doch vor allem von dem Wunsch nach bloßer Abgrenzung motiviert sind. Julia Albrecht
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen