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Archiv-Artikel

BETTINA GAUSPOLITIK VON OBEN Gespräche sind göttlich

Die alte Bäuerin Sarah Obama lehrt: Man muss mit allen Menschen sprechen – auch wenn sie einem fremd sind

Der Kraft des Gesprächs wird viel zugetraut. Erbitterte Feinde, die einander schwere Menschenrechtsverletzungen vorwerfen können, wurden vielerorts nach zähen internationalen Verhandlungen in gemeinsame Koalitionsregierungen gedrängt. Im Sudan, in Kenia, in Simbabwe. Gespräche mit dem Iran werden geführt, um eine Eskalation des Atomstreits zu verhindern – und sie bedeuten nicht, dass die Unterhändler Irans Präsidenten Ahmadinedschad verehren. Barack Obama hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, auch den Dialog mit Politikern zu suchen, die den USA feindlich gegenüberstehen.

Fast überall auf der Welt gilt ein Gespräch als Wert an sich. Die Stiefgroßmutter des US-Präsidenten redet jeden Tag mit Fremden: „Manchmal kommen bis zu hundert Leute“, sagt Sarah Obama. Im Garten ihres abgelegenen Hofes unweit des Viktoriasees wurde eigens ein Empfangsplatz angelegt, denn die alte Bäuerin begrüßt alle Besucher persönlich, die einen neugierigen Blick auf die kenianische Verwandtschaft des mächtigsten Mannes der Welt werfen wollen.

Das Grundstück ist inzwischen von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben. Polizisten kontrollieren den Zugang. Nur das Haus sieht noch aus wie früher. Zementfußboden, rosa Schondecken über den Möbeln, Familienbilder an der Wand. Auf einem Foto hockt ein sehr junger Barack Obama neben Mama Sarah, wie sie im Dorf genannt wird.

Alte Bekannte sollten möglichst vor zehn Uhr morgens vorbeischauen, denn danach kommen die fremden Gäste. Gerade warten drei junge Chinesen auf ihren Termin. Mama Sarah steht auf, ein wenig mühsam, und geht hinaus. Lächelnd und geduldig. Ja, es darf auch fotografiert werden.

Wie hält sie das aus? Im Alter von 88 Jahren? Sarah Obama wird sehr ernst: „Ich glaube, dass Gott mir diese Aufgabe zugeteilt hat. Mit Menschen zu reden.“

Das Gespräch – mit wem auch immer – als göttlicher Auftrag. Übertrieben? Kaum. Es gibt wenige andere Ansichten, die über so viele kulturelle, religiöse und soziale Schranken hinweg geteilt werden wie die Überzeugung, dass es allemal besser ist, miteinander zu reden, als nicht zu reden. Nur ein kleines Dorf in Gallien – ach nein, da lebten ja kluge Leute. Also: Nur eine kleine Partei in Deutschland hält es für sinnvoll, nicht nur das Gespräch mit missliebigen Partnern zu verweigern, sondern gleich auch noch das Gespräch mit all denen, die ihrerseits bereit sind, sich mit den missliebigen Partnern zu unterhalten. Der Vorsitzende dieser kleinen Partei ist der deutsche Außenminister. Auf seine Vermittlungsbemühungen im Fall einer internationalen Krise darf man gespannt sein.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz und reist zurzeit durch Afrika Foto: Amélie Losier