BETTINA GAUS POLITIK VON OBEN : Bellevue soll niemals glitzern
Nächste Woche wird der Bundespräsident gewählt. Kein Kandidat ist glamourös, keiner ein Superstar. Wie nüchtern, wie erfreulich
Warum nur bringt Deutschland keine so charismatische Führungspersönlichkeit hervor wie Barack Obama? Seit der Wahl des US-Präsidenten ist das eine beliebte Talkshow-Frage, immer gestellt in leicht beleidigtem Ton. Als könnte ein Land, das ein derart protziges Kanzleramt und einen so glitzernden Hauptstadtbahnhof gebaut hat und bald noch ein Schloss errichten möchte, nun doch Anspruch erheben auf einen Superstar.
Es ist ja wahr. Glamour gehört nicht zu den Qualifikationsmerkmalen bundesdeutscher Staatsoberhäupter. Horst Köhler im Overall, Gesine Schwan mit Kopftuch und Kittelschürze, Peter Sodann im Bademantel: Von den drei Bewerbern um das Amt des Bundespräsidenten würde in überraschender Aufmachung und unerwarteter Umgebung wohl nur derjenige von den meisten Leuten sofort erkannt werden, dem gar keine Chancen eingeräumt werden. Bei einem Schauspieler wie Peter Sodann ist man nämlich an Wandlungsfähigkeit gewöhnt. Die anderen brauchen die Insignien des Amtes, um hervorzustechen. Spricht das gegen Horst Köhler und Gesine Schwan? Nein. Es spricht für das Amtsverständnis, das sich eingebürgert hat.
Nur Bundespräsidenten können sich bei öffentlichen Auftritten stets darauf verlassen, bei ihrem Publikum auf wohlwollende Freude zu stoßen. Keine Aggression schlägt ihnen entgegen. Aber auch keine hysterische Begeisterung. Stattdessen Zuneigung. Die Atmosphäre ist stets wunderbar unaufgeregt. Nett. Bescheiden.
Es ist natürlich nicht die vordringlichste Aufgabe demokratischer Politiker, unauffällig nett zu sein und Harmonie zu verströmen. Eine demokratische Öffentlichkeit sollte sich danach nicht sehnen. Aber auch Gelassenheit ist ein hohes Gut – und im politischen Alltag ein knappes. Wenn es wenigstens einen Amtsträger gibt, der dieses Gut mehren kann, ist das Geld für seinen Unterhalt gut angelegt.
Den meisten Leuten ist es ziemlich egal, wer am kommenden Samstag gewählt wird. Peinlich soll das Staatsoberhaupt möglichst nicht sein, das genügt schon. Wenn ein paar Mitglieder der Bundesversammlung sich Fürstin Gloria von Thurn und Taxis zum Vorbild nehmen, die letztes Mal überraschend Schwan statt wie vorgesehen Köhler wählte – auch recht. Eine Tagessensation, eine kleine Freude für die SPD und Stoff für einige Analysen der Frage, was es bedeutet, wenn Frauen sowohl im Kanzleramt als auch im Schloss Bellevue residieren. Falls es denn etwas bedeutet. Das würde es dann schon gewesen sein.
Der freundliche Gleichmut, mit dem die Bevölkerung dem Präsidentenamt gegenübersteht, ist ein letztes Relikt der nüchternen Bonner Republik. Davon ein wenig mehr in die neuen, großen Zeiten hinüberzuretten, wünsche ich mir weit dringlicher als eine charismatische Führungspersönlichkeit.
■ Bettina Gaus ist politische Korrespondentin der taz. Foto: Amélie Losier