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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS POLITIK VON OBEN Ein schriller Chor

Wird die Kundus-Affäre aufgeklärt? Die Erfahrung lehrt, was für ein schwieriges Geschäft Untersuchungsausschüsse sind. Und die seltsame Diskussion um den Afghanistan-Einsatz lässt nichts Gutes hoffen

Nach der letzten Sitzung gingen die meisten von uns noch gemeinsam etwas trinken. Es war keine unzulässige Kumpanei zwischen Abgeordneten und Journalisten, die da entstanden war. Das seltsame, flüchtige Gemeinschaftsgefühl speiste sich lediglich aus Erschöpfung. Monatelang hatten wir jeden Mittwoch in einem Sitzungssaal des Bonner Bundestagsgebäudes gesessen, von Mittag an bis spät in die Nacht, manchmal bis ein oder halb zwei Uhr morgens. Frondienst für die Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu rechtsextremistischen Vorfällen in der Bundeswehr. Und für die Reporter.

Zwölf Jahre ist das her, und jetzt gibt es wieder einen Untersuchungsausschuss zur Bundeswehr. Konkret: zur Kundus-Affäre. Trommelwirbel, Tusch: So hört sich das an, wenn ein Ausschuss eingesetzt wird. Nimmt er dann tatsächlich seine Arbeit auf, erinnert das eher an Loungemusik. Entspannend – oder einschläfernd.

Spektakuläre Neuigkeiten sind erfahrungsgemäß erst zu vermelden, wenn die Öffentlichkeit sich kaum noch daran erinnert, dass es einen Ausschuss überhaupt gibt. Vorangegangen sind dann endlos erscheinende Befragungen von weithin unbekannten Zeugen zu komplizierten, ermüdenden Sachverhalten. Werden die Leitmedien trotzdem auch dieses Mal weder Aufwand noch Mühe scheuen, um über alles zu berichten, was sich im Zusammenhang mit der Kundus-Affäre in Erfahrung bringen lässt? Vermutlich nicht. Die allgemeine Empörung ist inzwischen nicht mehr groß genug. Einer Emnid-Umfrage zufolge hat nichts von dem, was bereits bekannt geworden ist, dem Ansehen von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg geschadet. Über die Hälfte der Deutschen meinen, er habe das Zeug zum Kanzler.

Was zumindest Politiker hingegen wirklich empörend finden, hat auf unnachahmliche Weise der SPD-Abgeordnete Hans-Ulrich Klose – zur Erinnerung: ein Mitglied der Opposition! – ausgedrückt. Er nannte die Kritik der EKD-Ratsvorsitzenden Margot Käßmann am Militäreinsatz in Afghanistan „problematisch“. Sie habe sich „mit ihrer Äußerung in Gegensatz zur Mehrheit des Bundestages gesetzt“ habe. Sie vertrete „die Position der Linkspartei“.

Was immer man von tagesaktuellen Predigten halten mag – die Forderung, diese sollten sich an Mehrheiten orientieren, ist neu und unverbraucht. Noch. Hätte Klose es eigentlich auch missbilligt, wenn Käßmann die Position der SPD vertreten hätte? Zugegeben: Damit hätte sie sich vermutlich schwergetan. Wer weiß schon, welche Position die Sozialdemokraten zu Afghanistan derzeit einnehmen.

Dann gibt es da noch die FDP-Minister. Guido Westerwelle, der mit dem Boykott einer Afghanistan-Konferenz droht, zu deren Initiatoren die Bundesrepublik gehört. Natürlich nur, falls dort über Fragen diskutiert wird, die dem Minister nicht gefallen. Entwicklungsminister Dirk Niebel wünscht, dass finanzielle Zusagen für Hilfsverbände in Afghanistan an ihre Bereitschaft zur Kooperation mit der Bundeswehr geknüpft werden. Deutlicher hat bislang noch niemand gesagt, was er für den Zweck und was er für das Mittel hält.

Es ist also ein vielstimmiger und schriller Chor, der sich zu Afghanistan gerade einzusingen versucht. Keine guten Voraussetzungen für den Kundus-Ausschuss. Als die Parlamentarier sich 1998 um Aufklärung darüber bemühten, wie es zu einem Auftritt des Rechtsextremisten Manfred Roeder an der Führungsakademie der Bundeswehr hatte kommen können, war das anders. Den Vorgang fanden alle abscheulich, aus unterschiedlichen Gründen. Die einen fürchteten um das Ansehen der Bundeswehr, die anderen sahen sich in ihrer Ansicht über das Militär bestätigt.

Immerhin: es gab einen Konsens, dass Rechtsextremismus in der Bundeswehr bekämpft werden muss. Also gab es allgemeine Empörung und Entsetzen, somit ein Interesse der Öffentlichkeit, folglich auch ein Medieninteresse. Jetzt dürfte es anders sein – die Arbeit des Ausschusses droht im Sande zu verlaufen. Aber es geht dieses Mal ja auch nur um Menschenleben.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: A. Losier