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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS MACHT Skepsis braucht keine Partei

Politiker, die sich eine Zukunft für Europa wünschen, müssen bereit sein, offen über Europa zu reden

Die demonstrativ zur Schau gestellte Überraschung finde ich putzig. Es ist wunderbar, wenn durch Offshore-Leaks endlich Strukturen von groß angelegtem Steuerbetrug kenntlich werden, noch schöner wäre es, müsste sich tatsächlich der ein oder andere Straftäter vor Gericht verantworten. Warten wir ab, ob es dahin kommen wird. Aber wenn Politiker sich öffentlich darüber wundern, dass Steuerparadiese überhaupt als solche genutzt werden, dann wird es lustig.

Vertrauen erweckt man so allerdings nicht. Die Protagonisten der neuen, euroskeptischen Partei Alternative für Deutschland (AfD), die am Wochenende in Berlin ihren offiziellen Gründungsparteitag abhalten, wird das freuen. Schließlich reiten sie auf der Welle der Politikerverachtung und haben derzeit ohnehin viel Anlass zur Genugtuung. Noch darf man bezweifeln, dass sie überhaupt alle formalen Voraussetzungen für eine Teilnahme an der nächsten Bundestagswahl erfüllen werden – aber trotzdem können sich einer Umfrage zufolge schon jetzt 24 Prozent der Bevölkerung vorstellen, für die neue Partei zu stimmen.

Für ein Establishment gibt es mehrere Möglichkeiten, auf eine solche Nachricht zu reagieren. Gern gewählt wird die Schmähung der Meinungsforscher, die angeblich keine Ahnung haben von der Stimmung im Volk. Beliebt ist außerdem die Publikumsbeschimpfung. Wer politische Axiome infrage stellt, ist entweder böswillig oder verantwortungslos. Oder zwar selbst gutwillig, leider jedoch verführt von Böswilligen und Verantwortungslosen. Seit Jahren werden so alle, die den Sinn einer Erweiterung der Europäischen Union, die politische Integration der EU oder gar den Euro selbst infrage zu stellen wagen, ins rechtspopulistische Abseits gestellt.

Da möchte kaum jemand stehen. Es sei denn, er oder sie ist tatsächlich rechtspopulistisch. Selbst einige der prominenten AfD-Vertreter wehren sich gegen eine derartige Einordnung. Zu Unrecht, wie ich meine. Wer sich selbst ein Urteil bilden möchte, sollte Texte von Alexander Gauland und Konrad Adam lesen. Viel Spaß.

Der Ökonom Bernd Lucke, auch einer der künftigen Gründerväter der AfD, behauptet, die Partei erhielte Zuspruch aus allen politischen Lagern. Das allerdings ist wahr, so fürchte ich. Jedenfalls haben Bekannte – sogar Freunde – von mir, die ich bisher für linksliberal hielt, der Bewegung ihre Unterstützung angeboten. Sie sagen, dass sie keine andere Chance mehr sähen, dem Saugnapf der politisch korrekten Haltung zu entkommen.

Das finde ich ein bisschen allzu dramatisch. Aber es geht ja gar nicht darum, was ich finde. Wichtig ist allein, dass viele Leute sich nicht mehr repräsentiert fühlen durch die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien. Was kein Wunder ist.

Denn über kein anderes Thema wird an Stammtischen, auf Podien, in Fachzeitschriften so viel diskutiert wie über die Zukunft Europas und über die Zukunft des Euro. Ergebnisoffen, übrigens. Nur der Bundestag ist Sperrgebiet: Da werden Sonntagsreden gehalten und rote Linien definiert. Mit demokratischer Auseinandersetzung hat das nichts mehr zu tun, eher mit einer neuen Form des Absolutismus. Doch wer dieses Feld nicht den Rechten überlassen will, muss endlich eine offene Diskussion zulassen, nein, anstoßen: über die Frage, wie das Europa der Zukunft denn aussehen soll. Nach Zypern auch Portugal zu einer Ausnahme zu erklären wird nicht mehr genügen.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz. Foto: A. Loisier