BESSERE KREISE : Brot, Wein und Kunst
Wo ich herkomme – nämlich aus Hamburg –, ist es dank Understatements so: Heißt es „Gereicht werden Matjesbrötchen“, ist ein Gastmahl des Meeres zu erwarten. Daher weckte die von der nettesten Frau von Kunst-Berlin und ihrem sympathischen Lebensgefährten ausgesprochene, eher frugal anmutende Einladung zu „Brot und Wein“ bei mir wilde Vorstellungen eines dionysischen Bacchanals, die vom hervorragenden Käse denn auch nicht enttäuscht wurden. Viel berauschender als alle kulinarischen Genüsse gestaltete sich jedoch das Eintauchen in die mir bisher nur mäßig bekannte Welt der Erfolgreicheren des Kunstbetriebs.
Und wie es eben ist in den kurzen Momenten sozialen Glücks in diesem Leben: Man aß und trank und unterhielt sich, die Wertschätzung war gegenseitig. Es herrschte ein Vertrauen – es war mir fast ein wenig unheimlich. Auch habe ich die meisten Menschen selten so wie an diesem Abend gesehen. Ich werde alles darauf verwenden müssen, die Vorgänge genau zu verstehen. Dass indes der lange Marsch in die besseren Kreise niemals zum Ziel, sondern immer nur in die nächstnähere Nähe führt, zeigte sich an der obligaten Kunstbetrachtung.
Jenen wieder angesagten Auf-dem-Kopf-Maler und seinen dithyrambischen Kollegen identifiziert sogar ein auf dem linken Auge Nachtblinder wie ich. Doch was mochte jenes ausdrucksstarke Frauenporträt sein, das den Salon erleuchtete – das unbekannte Werk eines frühen Expressionisten? Weit gefehlt! Ausgerechnet mein eigener, für archaische Strichmännchen bekannter Lieblingskünstler hatte die Gastgeberin in jüngeren Jahren gemalt. Was ich mir hätte denken, aber nicht vorstellen können. Es ist eben auch so: Wo ich herkomme – nämlich Hamburg-Nordost –, ist beispielsweise „Tondo“ in erster Linie der Name eines Tonndorfer Einkaufszentrums. GUNNAR LÜTZOW