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Archiv-Artikel

BERNHARD PÖTTER über KINDER Prügel für Pudel und Prosecco

Der neue Volkssport heißt Kinderlosen-Bashing. Aber Menschen ohne Nachwuchs haben es schon schwer genug

Der Anruf kam morgens um halb zwei. Am Telefon war die Ministerin persönlich. „Klawuttke“, sagte Ulla Schmidt zu ihrem Medienberater, „Klawuttke, ich brauche eine Idee. Es ist doch Weihnachten. Das Fest der Familie. Ich muss mal wieder in die Zeitung. Und der Johannes hat das in seiner Ansprache schon auf die Attac-Schiene gehoben. Die Familie ist kein Betrieb und so. Also, was machen wir?“

Jörg Klawuttke schaute auf die Uhr und unterdrückte ein Gähnen. Er suchte den Notizblock, in dem er seine Einfälle notierte. Dann sagte er: „Frau Ministerin, ich habe da etwas für Sie. Kinderlose. Denen sollten wir es mal wieder geben. Macht sich immer gut. Sind alle auf unserer Seite. Vor allem die Presse.“

„Sehr gut, Klawuttke“, sagte Schmidt. Am nächsten Tag gab sie ein Interview und schlug vor, Kinderlose sollten bei Pflegeversicherung und Rente mehr zahlen und weniger bekommen. „Ist doch nur gerecht“, sagt Anna, als wir die Ministerin im Fernsehen betrachten. (Das mit Klawuttke wurde nicht erwähnt.) Menschen ohne Kinder leben heute und denken nicht an morgen. Ziehen keine Kinder groß, die unsere Rente bezahlen. Drücken sich um die Grundausbildung der nächsten Generation und behalten all ihr Geld für sich. Kinderlose feiern nächtelange Parties, wenn wir schlaftrunken schreiende Kinder schaukeln. Verreisen in der billigen Nebensaison, während wir an die Ferien gebunden sind. Schauen weg, wenn wir mit dem Kinderwagen vor der kaputten Rolltreppe stehen.

„Jajaja“, sagt unsere kinderlose Freundin Julia. „Dafür zahlen wir auch mehr Steuern. Von mir aus können wir auch noch mehr zahlen. Aber dann will ich das Gemecker über Menschen ohne Nachwuchs nicht mehr hören.“

Julia hat Recht. Genau wie Jörg Klawuttke. Kinderlose kann man ohne Risiko beschimpfen. Man erntet dafür allgemeine Zustimmung wie sonst nur beim Lob für Harald Schmidt. Totaler Mainstream. Schon das Etikett lässt keinen Raum für Sympathie: Kinderlos, da schwingt mit: arbeitslos, herzlos, gnadenlos, skrupellos, Trauerkloß. Da vergessen wir gern die Details. Dass es nämlich nur ein kleiner Teil der „Kinderlosen“ ist, der sich aus lauter Sehnsucht nach Selbstverwirklichung gegen den eigenen Nachwuchs und für Pudel und Prosecco entscheidet. Dagegen sind viele Kinderlose entweder wegen eines medizinischen Problems „ungewollt kinderlos“ (immerhin jedes siebte Paar); sie finden keinen Partner, mit dem sie Brutpflege betreiben könnten; sie können es sich (noch) nicht leisten, Kinder in die Welt zu setzen, oder sie arbeiten so viel, dass Kindermachen nicht mehr in den Terminkalender passt. Und nur Frauen fallen in die Rubrik „kinderlos“. Bei Männern heißt das „ungebunden“.

„Kinderlose sind genug gestraft“, sagt Julia. „Wir haben niemanden, den wir in den Schlaf singen können.“ In der Tat. Was Julia noch fehlt, ist jemand, der sie regelmäßig morgens um halb sechs weckt. Oder sie zu Weihnachten mit selbst gebasteltem Schrottkitsch beglückt. Jemand, bei dessen Elternabenden sie andere Eltern mit Erziehungsratschlägen aus Frauenzeitschriften voll quatschen. Jemand, der ihr kurz vor dem Losgehen auf die Party sagt: „Deine Bluse sieht aber echt scheiße aus.“

Also, Frau Ministerin: Weil Kinderlosen diese prägenden Erfahrungen fehlen, sollte man sie wie andere Minderheiten schützen. Man kann sie ruhig stärker zur Kasse bitten. Aber man muss sie manchmal auch ein bisschen streicheln. Schließlich übernehmen sie unsere Nachtschichten und Wochenenddienste. Sie ertragen artig lächelnd unsere grölenden Banden in Bus und Bahn. Und sie überhäufen uns Eltern mit schwer verdienter Anerkennung und unsere Kinder mit unverdienten Riesengeschenken. Es bringt also gar nichts, kinderlose Menschen zu mobben. Außer Ärger am Arbeitsplatz, wo Kinderlose ihre überschüssigen Energien besonders gern investieren. Schauen Sie sich doch morgen bei Ihrer wöchentlichen Dienstbesprechung mal um: Wollen Sie es sich wirklich mit den Fachministern für Bildung, Landwirtschaft, Kultur, Entwicklungshilfe und Justiz verscherzen? Alles Frauen übrigens.

Kinderlos und gebasht? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahns ROTKÄPPCHEN