BERNHARD PÖTTER über KINDER : Gleich platzt mein Kopf
Druck auf dem Schädel? Dagegen gibt es Wellness. Oder Sie müssen dringend ins Krankenhaus
Mittwoch vor zwei Wochen war einer dieser Tage. Wo man besser gar nicht aufsteht. Morgens war unserer Freundin Julia das Handy ins Klo gefallen. Sie kam zu spät zur Arbeit. Weil sie über die rote Ampel nach dem Bus rannte, hätte sie dieser rote Golf fast überfahren. Gegessen hatte sie den ganzen Tag nichts.
Die Präsentation bei Schneidewind hätte sie fast vergessen. Und dann auch noch der Streit mit dem Chef. Zu Hause hing Julia nur noch im Sofa. Starrte auf den Fernseher. Kaute die Tiefkühlpizza. Und wusste: „So kann es nicht weitergehen.“
Stan schwebte. Alles um ihn herum war ruhig, gedämpft, sanft und warm. Ein Mittwoch, 8.03 Uhr. Er hörte ein gleichmäßiges Klopfen, ein beruhigendes Rauschen, ein gedämpftes Lachen. Zufrieden baumelte er zwischen Himmel und Erde. Und dachte: Nichts. Höchstens: So ist das Nirwana. Eines wusste er nicht: „Gleich geht es los.“
Julia hatte schnell gehandelt. Krank gemeldet, rein ins Auto und kurz entschlossen zu „Veras Wellness Welle“ gebraust. Dort ließ sie sich ins Wasser gleiten. Die warmen Wellen schlugen sanft über ihr zusammen. Am Ende des Schwimmbeckens begann der Wald, durch den die letzten Sonnenstrahlen schräg hindurchsägten. Wohlig blubbernd tauchte sie durch das Wasser. Kletterte in den Whirlpool direkt an der Theke. Julia legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Einfach nur hier sein.
Dieses Ruckeln kurz vor Mittag irritierte Stan. Dieser Druck auf den Po. Da! Schon wieder. Das letzte Mal war erst ein paar Minuten her. Was sollte das? Unangenehm, dass dieser Druck ihn mit dem Schädel gegen diese Wand drückte. Und zwar kräftig. Stan wandte den Kopf hin und her. Da bewegte sich nichts. Keinen Millimeter.
Die Massagebank war geheizt. Wohlig ließ Julia sich darauf plumpsen. Und dann knetete die Masseurin die Verspannungen von drei Monaten Karrierefrau aus ihren Schultern. Sich einfach diesen Händen überlassen, dachte Julia unter ihrer Gurkenmaske. Aromatische Düfte krochen in ihre Stirn. Und lösten von innen die Knoten, die vom dauernden Stirnrunzeln und Augenbrauenhochziehen kamen.
Stan knallte mit dem Kopf gegen die Wand. „Was soll das denn?“, schrie er. Niemand hörte ihn. Mit übermächtiger Wucht presste ihn die Wand hinter ihm vorwärts. Sein Scheitel bohrte ein kleines Loch in die Wand vor ihm. Der Puls raste und sackte dann wieder ab. Sauerstoff!, konnte er nur noch denken. Er stieß sich kräftig mit den Füßen nach hinten ab. Jetzt gab es nur noch einen Weg: Augen zu und durch.
Hatte sie geschlafen? Wie spät war es? Ganz egal. Träge drehte Julia den Kopf auf die Seite. Und streckte sich unter ihrem Handtuch im Ruheraum. Einfach wieder den Kopf ausschalten.
„Gleich platzt mein Kopf“, dachte Stan. Wie sollte man diesen Druck auf den Hinterkopf aushalten? Da! Millimeterweise schob sich die Wand zur Seite. Wasser schoss an ihm vorbei. Aber der Sauerstoff wurde noch knapper. Er begann vor Erregung mit Armen und Beinen zu zittern. Adrenalin schoss in einer großen Welle durch seinen zusammengepressten Körper.
Und dann das Essen! Erlesen. Der Wein ein Gedicht. Dann die Ruhe auf dem Zimmer. Vera hatte nicht gelogen: Entspannung pur, hier zwei Stunden von der großen Stadt entfernt. Einsamkeit. Druck war hier ein Fremdwort.
Kreischend und strampelnd quetschte sich Stan ins Freie. Grelles Licht! Pures Entsetzen! Ein Schrei! Die Helligkeit blendete ihn. Die Kälte traf ihn wie ein Schlag. Und dieser Lärm! Ausgepumpt lag Stan da und schnappte nach Luft. Sie rissen ihn an den Füßen hoch, starrten ihm in die Augen, betasteten seinen Körper mit kalten Plastikfingern. „Nie wieder!“, dachte er noch.
Zu Hause auf dem Sofa seufzte Julia wohlig und zog die Decke fester. „Ein ganzer Tag Wellness“, schnurrte sie zufrieden ins Telefon. „Du, ich fühle mich wie neugeboren.“
Stan lag unter seiner Decke auf Annas warmem Bauch. Ein halber Tag voller Presswehen. Ausgepumpt. Durchgemangelt. Total fertig. Er fühlte sich wie neugeboren.
Fragen zu Neugeburten? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN