BERNHARD GESSLER STETHOSKOP : Die gefühlte Schweinegrippe
ANGST VOR DER GRIPPE? FRAGEN SIE DOCH BESSER JEMANDEN, DER SICH DAMIT AUSKENNT
Herr Dokor, ich hab die Grippe!“ – eine brisante Aussage zurzeit. Als Arzt ist man manchmal versucht zu antworten: „Welche darf’s denn sein: die Vogel-, Schweine- oder Menschengrippe?“. Doch zynischer Humor kommt bei PatientInnen leider nicht gut an – es sei denn, sie sind coole Teenager oder Studis – also besser diese Antwort herunterschlucken.
Eigentlich meint es der Patient mit dieser Aussage ja nur gut: Er will den Arzt in eine gewisse Richtung führen – und macht damit schon den ersten Fehler – wenn hier dieses harte Wort erlaubt ist. Denn: Das Arzt-Patient-Gespräch möchte der Arzt führen. Hausärzte möchten von seinen PatientInnen nicht hören, welche Krankheit sie zu haben meinen, sondern welche Beschwerden (Symptome!) sie haben. Die Schlussfolgerung, welche Diagnose sie haben könnten, möchte der Arzt selbst ziehen.
Das mag sich arrogant oder pingelig anhören, aber es entspricht einem alten, klugen Dreierschritt ärztlicher Arbeitsweise: sehen – urteilen – handeln. Oder: Befund – Diagnose – Therapie. Außerdem ermöglicht dieser eine am Patienten orientierte Medizin: Anstatt sich in unfruchtbare Diskussionen über Nachweiskriterien und die Wahrscheinlichkeit dieser oder jener Diagnose zu verzetteln, reden wir lieber konkret darüber, was den Kranken seit wann und wie stark an seinem veränderten Zustand belastet. Umso konkreter wird vielleicht die Diagnose und die Therapie. Diese Spielregel einzuhalten fällt insbesondere jenen PatientInnen schwer, die akademisch-abstrakt und technisch denken.
Ob es sich also bei den Symptomen Fieber, Krankheitsgefühl, Gliederschmerzen, Husten, Halsweh, Schnupfen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall nun um einen grippalen Infekt, eine echte Grippe, die Schweinegrippe, Vogelgrippe, eine sogenannte Magen-Darm-Grippe oder um Sars (Jetzt übertreibt er aber!) handelt – das ist auch für erfahrene Ärzte oft schwierig zu entscheiden. Meistens muss der Arzt die Diagnose nach Wahrscheinlichkeitserwägungen stellen – und liegt damit nicht selten daneben. Die Unsicherheit von Wahrscheinlichkeiten auszuhalten, auch das ist eine schwierige Übung für Patient und Arzt.
„Habe ich die Schweinegrippe?“ Diese Frage lässt sich nur nach Einschicken eines Rachen- oder Nasenabstriches in das Nationale Referenzzentrum für Influenza am Robert-Koch-Institut in Berlin beantworten. „Ich halte das für sehr unwahrscheinlich“, wäre hier die ehrliche Antwort. Halten wir das aus?
■ Der Autor arbeitet als Internist in Rastatt. Foto: Privat