BERND PICKERT ÜBER OBAMAS STRATEGIE GEGEN DEN „ISLAMISCHEN STAAT“ : Alte Fehler, neue Fehler
Das ist keine Strategie. Was US-Präsident Barack Obama in der Nacht zum Donnerstag bei seiner Fernsehansprache an die US-Bevölkerung verkündete, kann bestenfalls als Ad-hoc-Maßnahmenpaket durchgehen. Obama will die Luftangriffe auf Stellungen des selbst ernannten „Islamischen Staates“ (IS) ausweiten, will nicht mehr nur im Irak, sondern auch in Syrien angreifen, spricht davon, eine breite Allianz gegen IS aufzubauen und will die irakische Armee, die kurdischen Peschmerga und die Freie Syrische Armee ausrüsten und trainieren, um den Bodenkampf gegen IS zu führen.
All das ist bestenfalls geeignet, den Vormarsch von IS aufzuhalten, vielleicht sogar, wie es Obama als Ziel formulierte, die Struktur der Miliz tatsächlich mittelfristig zu zerstören – ein zugegeben legitimes Ziel im Angesicht ihrer brutalen Vorgehensweise.
Sicher ist allerdings nicht einmal das. Trainieren die USA nicht schon seit vielen Jahren die irakische Armee? Warum sollte das jetzt eher von Erfolg gekrönt sein als bisher? Und wird die gerade neu – und noch nicht einmal vollständig – gebildete irakische Regierung wirklich in der Lage sein, jenen Eindruck schiitischer Dominanz aufzulösen, der ja in den vergangenen Jahren der Nährboden für IS im Irak war?
Und letztlich: Obama hat seine gesamte Ansprache in das Vokabular des Anti-Terror-Krieges gekleidet, das er von seinem Vorgänger übernommen hat. Wie einst George W. Bush verkündete Obama jetzt, Terroristen würden nirgends einen „sicheren Hafen“ finden, Amerikas Stärke würde sie überall zur Strecke bringen. Wer die innenpolitischen Auseinandersetzungen in den USA in den letzten Wochen und Monaten verfolgt hat, versteht, dass Obama sich gefordert sah, Testosteron zu demonstrieren. Aber wer die weltpolitischen Ergebnisse jener „Politik der Stärke“ in den letzten 13 Jahren seit den Anschlägen des 11. September 2001 betrachtet, der sieht nicht die Zerstörung, sondern einen schier unaufhaltsamen Aufstieg militanten radikal-islamistischen Gedankenguts in immer neuen Ausdrucks- und Organisationsformen. Es gibt wirklich keinen Grund anzunehmen, dass diese neue militärische Intervention ein abweichendes Ergebnis produzieren könnte.
Die westlichen Regierungen sind sich einig, und auch Obama hat das bei seiner Rede erneut bestätigt, dass es bislang keine Anzeichen dafür gibt, dass von IS eine unmittelbare Bedrohung jenseits der Region ausginge. Aber, so das Argument, viele der ausländischen Kämpfer könnten nach Europa und in die USA zurückkehren und dort Terroranschläge verüben. Das scheint realistisch – mit Obamas neuer „Strategie“ dürfte es zur Gewissheit werden.
Als Blaupause für seine IS-Strategie gab Obama den erfolgreichen Drohnenkrieg in Pakistan, Somalia und Jemen an, mit dem es gelungen sei, die Führungsebenen terroristischer Organisationen zu zerschlagen. Selbst wenn man beiseite lässt, dass die völkerrechtliche Legitimität dieser Art der Kriegführung zumindest umstritten ist – nicht wenige Völkerrechtler definieren den Drohnenkrieg als extralegale Hinrichtungen –, so legen doch unzählige Berichte gerade aus dem Jemen nahe, dass die vielen zivilen Toten der Drohnenangriffe eher zur weiteren Radikalisierung beigetragen und Hass geschürt haben. Die kurzfristige militärische Erfolgsmeldung wird so langfristig zum Bumerang.
Zugegeben: Eine einfache und richtige Lösung gibt es nicht. IS einfach gewähren lassen, kann keine Option sein. Und der Hinweis darauf, dass der verbrecherische Irakkrieg der Bush-Regierung die jetzige Katastrophe überhaupt erst möglich gemacht hat, ist zwar richtig, hilft aber nicht weiter. Ein US-amerikanischer Politikanalyst formulierte vor Kurzem, der erste Fehler sei es gewesen, in den Irak einzumarschieren, der zweite Fehler, sich aus dem Irak zurückzuziehen. Jetzt ist die Situation auf eine Art verfahren, dass fast nur noch Folgefehler möglich sind. Nur ein Gewinner steht von vornherein fest: die internationale und insbesondere die US-amerikanische Rüstungsindustrie.
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