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Archiv-Artikel

„BERLINER ZEITUNG“: ES GEHT UM RENDITE, NICHT UM QUALITÄT Chefredakteur als Gegner der Redaktion

Als eine Finanzgruppe um den britischen Medienunternehmer David Montgomery im Herbst 2005 den Berliner Verlag kaufte, stellte das die bis dahin mäßig heile Welt der Zeitungsverlage auf den Kopf: Investoren auf Einkaufstour in der deutschen Presselandschaft! Jetzt ist Montys Truppe mit der überraschenden Berufung von Josef Depenbrock zum neuen Chefredakteur der Berliner Zeitung ein zweiter Strukturwandel gelungen: Depenbrock ist eines der bisher seltenen Exemplare des Unternehmer-Chefredakteurs. Bei der Hamburger Morgenpost war er Geschäftsführer und oberster Journalist in einer Person – und bis zum Verkauf an Montgomery im Januar sogar Miteigentümer des Titels. Auch beim Berliner Verlag wird Depenbrock Mitglied der Geschäftsführung und ist mit einem Minianteil am Unternehmen beteiligt.

Damit ist die alte Arithmetik auf den Kopf gestellt: Idealerweise sollten sich beide Positionen – Chefredaktion und Geschäftsführung – in einer Art Dauertauziehen gegenüberstehen. Die Chefredaktion steht fest auf Seiten der JournalistInnen, der Unabhängigkeit des Blattes und der Qualität der Berichterstattung. Die Geschäftsführung besorgt das Geld dazu. Bei der Berliner Zeitung wird durch die schizophrene Doppelrolle Depenbrocks der Chefredakteur plötzlich vom obersten Verteidiger zum Feind der Redaktion. Nicht mehr ein Journalist, sondern ein Ökonom leitet künftig jeden Morgen die Themenkonferenz.

Mit dem Berliner Verlag will Montgomery für sich, seine Kofinanziers und den Schuldendienst Renditen erzielen, bei denen einem schwindelig wird. „Heuschrecken sind keine Fleischfresser. Das sind normale Menschen“, sagt Depenbrock. Und „Gewinnmaximierung“ sei ein legitimes Ziel. Wie er das mit dem bisherigen redaktionellen Umfang und dem Aufwand für die Berliner Zeitung bewerkstelligen will, sagt er nicht.

Er möchte an die „journalistische Qualität“ des Blatts „anknüpfen“ und dafür sorgen, dass es „im harten Berliner Wettbewerbsumfeld auch in Zukunft erfolgreich bleibt“, so der künftige Geschäftsredakteur. Montgomery wird an Depenbrock seine helle Freude haben – die Berliner Zeitung wie ihre Leserschaft wohl kaum. STEFFEN GRIMBERG