BERLINER PLATTENTIPS: Empfängnishilfe
■ Bad Fun und Gunjah auf Snakefarm Records, The Butlers auf Rude Records
Außer der Berliner Techno-DJ-Szene hat der Rest der musizierenden Stadt den Anschluß an die aktuellen Entwicklungen eher verschlafen. Auch der Metal-Bereich bildet da keine Ausnahme. Leider auch nicht Bad Fun, die auf Snakefarm Records (Semaphore) ihre erste, selbstbetitelte EP mit sechs Stücken herausgebracht haben. Ihnen fehlt es zwar nicht unbedingt an Geschwindigkeit, die Speed-Besessenheit der letzten Jahre hat sich eh totgelaufen, aber das auch. Der Sound rümpelt und dümpelt eher zähflüssig dahin. Was ja nicht schlecht wäre, weil Doom- oder Death- Metal im Genre die Moderne markieren, aber der kurzabgehackte, schmutzige Metal ist dann doch nicht das Ding von Bad Fun. Auch wenn ein Songtitel wie »Sweet as a Taste of Death« das suggerieren könnte. Dazu sind sie nicht extrem genug, unterscheiden sie sich so wenig von MTV- Walle-Walle-Rockern, daß einer Nachbarin ein ganz ernsthaftes »Ist das vielleicht Ina Deter?« entfuhr. So weit darf man nicht gehen, aber Bad Fun sind eindeutig zu bieder. Die 3672. Ausgabe desselben Schweinerocks amüsiert nur noch die Macher selbst. Textlich wird mit dem Thema Death nur kokettiert (»Move your body/ Let it bleed!«), und auch die Musik ist nicht mörderisch, sondern ganz einfach angestaubt. Sabine Schmidt versucht zu singen, anstatt ihre Texte einfach herauszukotzen. Aber genau das würde Bad Fun lobende Erwähnung in den richtigen Magazinen verschaffen und zudem den Akzent von Frau Schmidt verdecken.
Bliebe noch zu klären, ob Bad Fun vielleicht einfach nur zeitlos und verkannt sind, aber das müßte man jemanden anders fragen, ich habe diese Platte schon wieder vergessen. Aber eines weiß ich noch: irgendwie war es ja nicht schlecht.
Auf dem Spielplatz nebenan spielen Gunjah. Sie sind für die Berliner Szene, was Jingo de Lunch vor ihrer ersten LP waren: die lokalen Hardcore-Größen, soli- und kreuzberggestählt. Sie dokumentieren damit auch die Entwicklung im Genre. Waren und sind Jingo noch songorientiert, veranstalten Gunjah auf ihrer ersten Single »Time For Crime« (ebenfalls Snakefarm) ein erbarmungsloses Gemetzel, versuchen den Breaks pro Song-Faktor in vorher nicht für möglich gehaltene Höhen zu schrauben, bauen fünf halbe Songideen zu einem dreiviertel fertig gewordenen Stück zusammen, fangen an wie Bad Religion, werden in der Mitte fast zu Morbid Angel, mutieren kurz zu Led Zeppelin, dann ein bißchen Red Hot Chilli Peppers, und ... (wird fortgesetzt). Dabei groovt das auch noch.
Was Gunjah in zwei Stücken einer Single unterbringen, daraus machen andere ganze LPs. Für Laien sind diese neun Minuten und 21 Sekunden zudem ein geeigneter Crashkurs über den aktuellen Stand im Metal. Wer allerdings die letzten zehn Jahre komplett verpaßt hat und dann Gunjah hört, wird sich wahrscheinlich an seine Frank- Zappa-Platten erinnern. Und das ist ja auch was. Thomas Winkler
Nach zwanzig Minuten hinterlassen die Butlers bereits keinen Zweifel mehr an der Ausgelassenheit, die sich mit dem von ihnen betriebenen »Turbo-Ska« ausbreitet: Hektik rules auf Platte, Bierfreuden im Konzert. Das dem Skarhythmus eigentümliche Pulsieren im Off-Beat wird schon im Eröffnungsstück »Shankin' with Skeletons« mit einer Spitzengeschwindigkeit betrieben, wie sie während der Hochphase der Bewegung 1978/80 höchstens bei Liveauftritten der Rude Boy-Recken »The Specials« praktiziert wurde: »Hey hey we're much too young.«
Zu dieser ausufernden Wildheit gesellen sich kurz angeschrammte Gitarrenakkorde, die punk- rockend in die gleiche Kerbe in der Erinnerung schlagen: irgendwie klang »London Calling« ja auch wie Ska, nur war es schwerer, langsamer, trauriger und rebellischer. Zehn, zwölf Jahre danach ist die Musik der Butlers vorrangig partytauglich und bei dementsprechendem Fitneßtraining sogar tanzbar. Und Sixties-verliebt, was trendgemäß ein günstiges Licht auf die LP wirft, aber den Überzeugungstätern als die sich die Ska- Band zu erkennen gibt, Unrecht tut. So gehört zum Live-Repertoire der Butlers schon seit längerem eine Ode auf »The Avangers« (das sind Emma Peel und John Steed, »Schirm, Charme und Melone«, früher samstäglich frühabends als Belohnung für die allwöchentlich erduldete Badewanne im zweiten Programm ausgestrahlt). Auf der Platte blitzen die sechziger Jahre weniger zielgerichtet, sondern allenfalls sporadisch auf, wenn Orgel, Gitarre oder Bläser eben mal eine Fernsehserien-Erkennungsmelodie einstreuen. Bewußt tun sie das in der Zitatennummer »Sock it to 'em J.B., Part III«, in der passend zur Hommage an den Film-Bond das Goldfinger-Thema geblasen wird. Mitunter merkt man den sieben jungen Männern allerdings ein gewisses Auf-verlorenem-Posten-Stehen an. Wenn ihr »Drunken Sailor« im Kampf mit der Konkurrenz von Käpt'n Iglo untergeht, wenn die burschikose Sehnsucht nach irgendeiner guten, alten Zeit, so gegen '66 vor dem Bilderschirm oder '79 auf den Straßen von Brixton, mit dem zeitgeistigen »Liebe wild und gefährlich«-Syndrom der Jugend-macht- Karriere-Gazetten zusammenkracht. Da kommt die Partyfreude ins Stolpern und der gute Beat gerät zum sturen Pochen auf das Recht der Wiederholung. Nirgends eine Rhythmusmaschine, kein Rave in Sicht.
Die Butlers können so wild einen Sauf- und Draufmachen wie die Pogues, so spielfreudig musizieren wie Madness und Rumpogoen, wie Punkrocker. Sie beweisen dadurch hauptsächlich Geschmack. Und am Rande das richtige politische Gefühl für die Brisanz im Kampf gegen den Terror von rechts. The Butlers unterstützen S.H.A.R.P., »Skinheads Against Racial Prejudice«, »Skinheads Gegen Rassismus«. Aufklärung gegen Überbaubetroffenheit. Harald Fricke
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