BERLINER PLATTEN : Ein Besuch in der Gruft der Metal-Malocher: Tunes of Dawn könnten irgendwie auch Finnen sein und Orphan Hate klopfen schwere Steine
Berlin mag ja für allerhand bekannt sein, als Stadt des Techno-Bretts, für seine Electronica- und Reggae-Szenen, als Heimat von Neubauten und Rammstein. Aber als Metal- oder Gothic-Hochburg ist die Hauptstadt nicht gerade berüchtigt. Trotzdem gibt es natürlich die entsprechenden Clubs, Labels und Bands. Tunes of Dawn heißen nicht nur „Melodien des Morgengrauens“, sondern klingen auf ihrem Debütalbum „Of Tragedies In The Morning & Solutions In The Evening“ auch so. Ein bisschen düster, gern mittelschnell, mit satt rotierenden Gitarren und einem Sänger, der samten die Stimme raspelt, wenn er die einschlägigen Themen behandelt: Als da wären miese Morgen („One Mornings Tragedy“), unglückliche Untote („Vampire’s Journal“) und natürlich die enge Verbindung zwischen Selbstmord und Liebe („A Love Ends Suicide“). Was junge Männer, die sich und ihr Gefühlsleben ein bisschen zu wichtig nehmen, eben so abzusondern belieben.
Aus diesem Schema brechen Tunes of Dawn, das Nebenprojekt des Scream-Silence-Bassisten Hagen Schneevoigt, nur selten aus: Durch „Death Is Beautiful“ wabert eine Orgel wie von den Doors, und in „Motorcycle Baby“ werden mit Alarmgitarren und einer zweiten, revalrauchertiefen Stimme die Errungenschaften der benachbarten Genres Death und Doom Metal zitiert. Kurz gesagt: Tunes of Dawn sind Berlins Antwort auf HIM. Von den finnischen Teenie-Lieblingen trennt unsere heimischen Goth-Rocker womöglich nur ein einziger Smash-Hit, denn grundsätzlich sind ihre Mini-Tragödien ziemlich eingängig, stets schwer romantisch, und sie verabreichen den unabdingbaren Weltschmerz dann doch in recht gut verdaulichen Dosierungen.
Auch Orphan Hate sind, zumindest zu vier Fünfteln, junge Männer, aber nichts läge ihnen ferner als Romantik. Die jungen Männer sind auf „Blinded By Illusions“ noch wütend, im hormonellen Ungleichgewicht und irgendwie richtungslos. Folglich ist Musik hier noch Schwerstarbeit, das Klopfen schwerer Steine, das Bohren dicker Bretter. Früher hätte man Hardcore dazu gesagt, heute heißt das Thrash Metal: Die Rhythmen stolpern in viele denkbare Richtungen, die Gitarren sägen ziellos und der Schlagzeuger haut alles kurz und klein. Das alles soll dem geneigten Zuhörer sagen: Die Welt ist hart, deshalb muss es die Musik auch sein. Verstehste?
Gebändigt wird so viel Testosteron von einer fast mathematischen Grundstruktur. Wie abgezirkelt stehen die verschiedenen Teile der Songs nebeneinander, balladeske Momente werden abgelöst von Geballer mit Doublebass. Ein Entwurf, der natürlich so neu nicht ist: Metallica haben es damit aktuell sogar wieder an die Chartsspitze geschafft. Was Orphan Hate aus der Armee von dann doch immer wieder arg einfallslos ballernden Thrash-Metal-Bands heraushebt, ist eindeutig Sängerin Sina Niklas. Die 22-Jährige kann zwar angemessen böse grummeln, schafft es aber tatsächlich, die eine oder andere Melodie einzuschmuggeln. So erinnern Orphan Hate in ihren besten Momenten an Jingo de Lunch. Wenn sich noch wer an die erinnern kann. THOMAS WINKLER
Tunes of Dawn: „Of Tragedies In The Morning & Solutions In The Evening“ (Plainsong/ALIVE) live heute im Wild At Heart
Orphan Hate: „Blinded By Illusions“ (Plainsong/ALIVE)