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Archiv-Artikel

BERLINER PLATTEN Überraschung! Dafür ist das Krachschläger-Label Shitkatapult weiter gut, während Johnnie Rook den Krach wenig überraschend nach bewährter Art schlagen

Klären wir erst einmal die Erwartungshaltung. „Strike 100“ ist die neueste Kompilation aus dem Hause Shitkatapult, unser aller Lieblings-Krachschläger-Label. Das gibt viel Geballer, Punk als Electro und was sonst noch alles so knallt an den Schnittstellen zwischen Rockbühne und Tanzboden.

Denkt man.

Tatsächlich aber beginnt die Doppel-CD (beziehungsweise das Dreifach-Album für die Vinyl-Liebhaber), mit der das elfjährige Label seine 100. Veröffentlichung feiert, überraschend zurückhaltend. Um nicht zu sagen: feinfühlig. Und das ist mal ein Adjektiv, das im Zusammenhang mit Shitkatapult nun bislang eher selten benutzt wurde. Genauso wie die Genre-Bezeichnung Ambient.

Doch dafür bürgt der Chef höchstselbst: „Lass Knattern!“ hat T.Raumschmiere zwar seinen Eröffnungstrack genannt, aber das ist eine klassische Produkt-Täuschung, denn der knattert gar nicht, der ist eher atmosphärisches Rauschen als Song. Gleich anschließend remixt Apparat (alias Sascha Ring, der auch mal Shitkatapult-Teilhaber war) den guten alten Johnny Cash so, dass er endlich so tot klingt, wie er ja nun mal auch ist. Nicht ganz so gruselig, aber fast noch langsamer geht es weiter mit Laissez Faire. Kurz und gut: Die 25, zum überwiegenden Teil bislang unveröffentlichten Tracks, ob vom Bierbeben oder The Orb, Warren Suicide oder Daniel Meteo, Fenin, Bus oder Soap&Skin, wirken wie eine Fahrt durch die elektronische Geisterbahn – und das auch noch in Zeitlupe. Rhythmen werden gar nicht oder wirklich nur im Notfall eingesetzt (so von Pluramon, um Julia Hummers berückende Nichtstimme zu unterlegen, oder von Fenin, um seinen „Lastkahn“ zu bebildern). Ansonsten aber wird vornehmlich geschabt und geblubbert, gedaddelt und gepiept. Auch Musiker, die sonst für anderes bekannt sind, haben für „Strike 100“ ihre vertonten Träume beigesteuert. Das Ganze hat exakt zwei Erkenntnisse zur Folge: erstens, dass in Träumen offensichtlich selten getanzt wird und wenn, dann vermutlich eher ungelenk. Und zweitens, dass Shitkatapult sich treu bleibt darin, als Label vor allem für eins gut zu sein: für eine Überraschung.

Überraschung ist zufälligerweise genau das Gegenteil von dem Gefühl, das sich einstellt, wenn man „Rabatz!“ auflegt. Die verdiente Berliner Punkrockband Johnnie Rook glänzt vor allem mit dem Erwartbaren: Meist melodisch, stets in höherem Tempo und ohne große rhythmische Sperenzchen verweigert sich das Quintett weitgehend allen aktuellen Entwicklungen. Stattdessen trommelt der Schlagzeuger am Infarkt entlang, die Gitarristen prügeln eifrig drauflos und Sängerin Franziska lässt ihre Stimme sich überschlagen. Das mag nicht allzu einfallsreich sein, ist aber – im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten im Genre – wenigstens handwerklich solide vorgetragen.

Und tut dann auch seine Pflicht: Nach einer Viertelstunde Johnnie Rook möchte man am liebsten losstürmen, um mal wieder ein Haus zu besetzen – oder doch wenigstens eine Bierflasche mit den Zähnen zu öffnen. THOMAS WINKLER

V.A.: „Strike 100“ (Shitkatapult/ Alive), Record Release Party mit Jan Jelinek, T.Raumschmiere u. a. am 18.3. im Berghain, 21 Uhr

Johnnie Rook: „Rabatz!“ (Rügencore/Rough Trade), Record Release Party am 14. 3. im KATO