BERLINER PLATTEN : Im Zweifel darf man allemal zum Tanzen austreten: Amüsierwilliges von den Lottergirls und den Torpedo Boyz
Irgendwo da draußen sitzt jemand, der schraubt gerade am nächsten wirklich neuen Ding. Muss ja so sein. Bis der sich aber meldet, kombinieren wir erst mal hauptsächlich Bekanntes.
Beispielsweise: Einen Berliner DJ mit Auslandserfahrung mit einer US-Rapperin, den Dancefloor mit Rockmusik, ein paar altgediente Heroen mit einem noch älteren Heroen. Am Ende kommt dann so was raus wie „Right On“, das erste und wahrscheinlich auch letzte Album der Lottergirls, denn so ein Gipfeltreffen wird so schnell kaum noch einmal zu bewerkstelligen sein: DJ Fetisch, nach erfolgreichen Lehrjahren in New York als Plattendreher, nach noch erfolgreicheren mit dem Berliner Downtempo-Aushängeschild Terranova, hat zwölf Tracks programmiert und eingespielt, die mal monoton pluckern, mal eine engagierte Schweinerocker-Pose einnehmen und manchmal sogar beides zugleich schaffen. Als Vokalistin hat er sich Princess Superstar geholt, doch der New Yorker Rapperin ausgerechnet das Rappen verboten. Eine prima Entscheidung, denn zum einen gehen die Meinungen eh auseinander darüber, ob sie das mit dem Reimekicken wirklich kann, und zum anderen wirft sie ihre Gesangsparts auf „Right On“ leger und jederzeit von der eigenen Coolness überzeugt hin. Außerdem waren noch beteiligt: Rudi Moser, als Mitglied von Einstürzenden Neubauten und Die Haut graue Eminenz des Berliner Untergrunds; Paris The Black Fu, mit dem Fetisch zuvor schon mal als Lotterboys firmierte; Krautrock-Legende Manuel Göttsching alias Ashra Tempel; und die echte Amanda Lear, die den gewohnten Sprechgesang beisteuern darf. Wer jetzt denkt: Seltsame Zusammenstellung, der hat ganz entschieden recht. Und darf jetzt zum Tanzen austreten, denn das Ergebnis verknüpft recht gelungen Berliner Betriebsamkeit mit New Yorker Abgeklärtheit.
Auch die Torpedo Boyz erfinden das Rad nicht neu. Aber sie halten es mit „Cum On Feel The Boyz“ gut in Schwung. Selten zuvor wohl klang eine Platte aus Berlin so gnadenlos amüsierwillig wie diese. Höchstens vielleicht noch „Headache Music“, das zwei Jahre alte Debüt der Torpedo Boyz selbst. Im Vergleich wirken selbst 2raumwohnung nachgerade depressiv, denn hier regiert uneingeschränkt der Wille zum Hochleistungspop ohne Reue. Die Einflüsse sind mannigfaltig und werden nicht allzu geflissentlich getarnt: Party-Hiphop der ersten Stunde, möglichst selbstverliebter Glam-Rock, die Sixties in nahezu allen Schattierungen und natürlich immer wieder Popmusik aus dem ganz fernen Osten.
Schließlich hat Ken Steen, die eine Hälfte der Torpedo Boyz, eine japanische Mutter, entsprechende Sprachkenntnisse und seit dem überraschenden Erfolg seines deutschsprachigen Gitarrenpop-Projekts Space Kelly in Japan dort auch ganz hervorragende Kontakte. So gehören zu den vielen Gästen auf „Cum On Feel The Boyz“ auch ODD Daisuke, ein Rapper aus Hiroshima, und dazu noch allerlei seltsame asiatische Instrumente. Grundsätzlich aber gilt vor allem: Tanzen ist Pflicht, alles andere wäre Verschwendung. THOMAS WINKLER
Lottergirls: „Right On“ (TNT/Terranova/Rough Trade)
Torpedo Boyz: „Cum On Feel The Boyz“ (Lounge/Nova Media)