BERLINER PLATTEN : Eine für die Arschwackler und eine für Knusperknäusler, dazwischen aber lockt die Deepness: neue Scheiben von Shir Khan, Wahoo und Swod
Bastard-Pop, das war gestern. Das musste selbst Shir Khan einsehen, Berlins eifrigster Protagonist des hemmungslosen Ineinandermischens möglichst disparater Teile der Popgeschichte. Auf seinem neuen DJ-Album „Maximize!“ finden sich folglich kaum noch Stücke mit dem berüchtigten „vs.“ im Titel. Doch auch wenn Shir Khan nicht wie auf seinen früheren Veröffentlichungen, die nicht umsonst „Copyright Candies“ hießen, keine Gassenhauer aus dem Radio mehr aufeinander loslässt, sondern brav und einigermaßen geschmackvoll Dance-Tracks aneinander reiht, bleibt sein Umgang mit den Genres doch gewohnt zügellos: Soul-Schnulze trifft auf Breakbeat, die Disco-Hymne auf den Electro-Smasher, der Funk-Kracher auf modischen Nu Rave. Nur die früher ausführlichen Ausflüge in die Rockmusik fehlen nun weitgehend und auch von Minimal will diese Idee von Techno garantiert nichts wissen. Grenzen kennt diese Musik zwar keine, aber Neugier auf die eigenen Limitierungen ist ihr auch fremd. Aus Shir Khan ist ein sehr solider Party-DJ geworden, dem eine knallige Bassline heilig und massenhaftes Arschwackeln der liebste Lohn ist. Man sollte also einfach dem Ratschlag des ebenso eingängigen wie einfältig programmatischen Albumstitels „Maximize!“ folgen, die heimische Hifi-Anlage voll aufdrehen und schon verwandelt sich das Wohnzimmer problemlos in einen brodelnden Club.
Auch auf „Take It Personal“, dem Debütalbum von Wahoo, rattert der Bass selbstbewusst. Schließlich soll das House sein. Aber auch Soul. Vielleicht auch doch lieber Pop. Schlussendlich wohl irgendwie alles gleichzeitig und sogar noch etwas mehr. Kein Wunder bei den Urhebern, setzt sich Wahoo doch zusammen aus DJ Dixon und Georg Levin. Der erste kommt von der Tanzbodenbeschallung, der zweite hat in verschiedenen Bands zwischen Funk und Rock gespielt. Dass diese unterschiedlichen Herangehensweisen längst keine Antipoden mehr sind, ist nicht mehr ganz neu, aber selten klang das so überzeugend wie auf „Take It Personal“. Das liegt vor allem daran, dass die beiden als gemeinsamen Bezugspunkt das gefunden haben, was Techno- und Soul-Connaisseur gleichermaßen Deepness nennen. Dabei, die Selbstentäußerung des Innersten zur glitzernden Oberfläche zur erheben, sind ihnen die Stimmen von Miss Platnum, Celine Bostic und Felix Buxton von Basement Jazz behilflich. Deep, das ist auch „Sekunden“ von Swod. Ziemlich deep sogar. Nur halt anders deep. Denn statt sich vorzudrängen, den Gefühlen das Vibrieren der Stimmbänder zu überlassen, lauschen Oliver Doerell und Stephan Wöhrmann kleinen Knuspergeräuschen aus dem Computer nach, dem Flattern einer Gitarrensaite, dem einsamen Rückkoppeln eines Verstärkers. Das ist Electronica, wenn man es benennen will. Vor allem ist es Klang, und Klang folgt auf Klang und verbindet sich langsam zu etwas Auf- und Abschwellendem, zu Sehnsucht und einem verlorenen Traum und ein bisschen Kitsch und so ziemlich genau dem Gegenteil von Shir Khan und seinem „Maximize!“ THOMAS WINKLER
Shir Khan: „Maximize!“ (Exploited/Grooveattack)
Wahoo: „Take It Personal“ (Fine/ Four Music/Rough Trade)
Swod: „Sekunden“ (City Centre Office/ Hausmusik)