BERLINER PLATTEN : Marusha lässt die Männer grummeln, und Paul van Dyk hält sich an Frauenstimmen. Die Beats bollern aber bei beiden aus dem vergangenen Jahrtausend herbei
Nur zur Erinnerung: „Popstars“-Jurymitglied Marusha Aphrodite Gleiss war ursprünglich mal DJane. Als solche moderiert sie auch weiter tapfer Radio-Sendungen, in denen die guten alten Zeiten des Berliner Bretts beschworen werden. Auch ihr neues Album „Heat“ rekapituliert unverdrossen die Versatzstücke des Massen-Raves: Die Sequenzer flattern, die Bassdrum knallt auf die Eins und mindestens einmal pro Track setzt der Rhythmus aus, damit alle die Arme überm Kopf schwenken können.
Weil das aber ein Konzept aus dem vergangenen Jahrtausend ist, lockert Marusha ihren Techno auf mit aus dem Mainstream-Pop entwendeten Stilmitteln: „Kick It“ ist eigentlich ein gemütlicher, technoider Gitarrenrocker; das gleich anschließende „Sweat“ bedient sich einer hübsch verruchten Bassline; „What I Say“ ist trotz Maschinenbeat ein naiver Popsong mit Kinderliedcharakter. Weil Englisch gesungen wird, fallen die Texte nicht allzu unangenehm auf. Wie im Genre üblich wird man vor allem aufgefordert, seinen „Sexyfunkybody“ zu moven oder mal die Bassdrum zu kicken. Das ist halbwegs erträgliche Funktionsmusik für den Tanzboden, aber halt auch ganz schön altmodisch.
Problematisch wird es allerdings, weil Marusha ihr anscheinend dann doch vorhandenes Mitteilungsbedürfnis unbedingt auch auf Deutsch ausleben will. Das endet unweigerlich als hochnäsiger Sprechgesang über abgeklärten Beats und wird schnell peinlich. „Warum leb ich? Warum bin ich?“, fragt eine Männerstimme in „Atme“, und das klingt dann ungefähr so, als hätte sich Joachim Witt in eine Chillout-Lounge verirrt. Das gleich anschließende „Abendstern“ vermanscht Anklänge an Mittelalter und Romantik mit flächigen Keyboard-Schwaden zu einer zähen Zumutung. Am Ende steht die auch nicht mehr ganz neue Erkenntnis, dass selbst gute DJs noch lange keine passablen Philosophen sind. Etwas, was Paul van Dyk instinktiv wohl schon immer wusste. Der blieb immer treu bei seinen Leisten, wurde so zum erfolgreichsten DJ Deutschlands und auch schon gar zweimal zum besten der Welt gewählt.
So gefragt ist er international, dass er alljährlich angeblich 635.000 Kilometer zurücklegt, beruflich. „In Between“ ist sein 20. Album und das wird dominiert – im Gegensatz zum düsteren Männergrummeln bei Marusha – von der verführerischen Frauenstimme. Eine ganze Parade an Sängerinnen hat sich van Dyk ins Studio geholt mit zwar nicht unbedingt klangvollen, aber doch klingenden Namen wie Jessica Sutta oder Ashley Tomberlin – und einen Mann namens David Byrne. Doch die Stimmen sind eh oft nur gar nicht unterscheidbare Klangfarbe, viel wichtiger sind die bollernden Beats, die klingen wie direkt aus den frühen Neunzigern. Damals war die Raving Society eine große, glückliche Familie und van Dyk ist einer der wenigen, der den Spagat heute noch vollbringt, wenn er jedes Wochenende vom kleinen Hipster-Club bis zur Großraumdiskothek das gesamte Spektrum professionell beschallt. Fehlt eigentlich nur noch eine sinnfreie Eröffnungsrede von DJ Motte. THOMAS WINKLER
Marusha: „Heat“ (Motor Music/Edel)
Paul van Dyk: „In Between“ (Island/Universal)