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Archiv-Artikel

BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Es lebt

Jan Feddersens Gastro-Kritik: Das Café Kranzler ist ein Mahnmal für das Unbehagen an der Caffè-Latte-Kultur – und als solches immer noch beliebt

Neulich wurde an dieser Stelle das Caras gelobt – eine Kaffeehauskette dort, wo der Mittelpunkt des alten Westberlin zu fantasieren ist, also an der Schnittstelle zwischen Bahnhof Zoo (bald nur noch regional), KaDeWe (das Kaufhaus mit dem freundlichsten Personal der Stadt) und dem Theater am Ku’damm. Genauer gesagt: da, wo man einst das Café Kranzler wähnte. Und ebendies ward für klinisch tot erklärt – und das hat Frau Göbel, Betriebsleiterin jener Lokalität, gekränkt. Und wie man finden darf: zu Recht.

Denn das Café Kranzler gibt es ja noch, es hat auch noch die hübschen orange-weiß gestreiften Markisen in der zweiten Etage, von der aus man einen netten metropolitanen Blick hat über das laute Gewusel draußen.

Frau Göbel jedenfalls erzählt. Dass das Kranzler lebe, wenn auch die ganz jungen Leute, die Yuppies und Hippies es nicht als Leuchtturm in eigener Sache erkennen. Dass sich das alte Kranzler nicht mehr habe halten können mit all den Sitzplätzen. Die Menschen, die gingen kaum noch Kaffee trinken – nun ja, „Kaffee zum Mitnehmen“, sagt sie, den gewiss, „aber am Ende eines Ausflugs zu einer Tasse Kaffee mit Kuchen“, das sei heute wohl „Luxus“.

Sie hat völlig Recht. Früher war der Sonntagsausflug gängig, dessen Höhepunkt eben der Kaffeehausbesuch war. Wann haben Sie das letzte Mal Kaffee filtern lassen, Frau Göbel? „Das tun wir noch“, lacht sie, aber es ist ein Missverständnis. Filterkaffee hieß bis Mitte der Sechziger, dass das Kaffeepulver erst mit einer Schlagmühle hergestellt wurde – um es in einen Filter, ausgelegt mit einer Filtertüte, von kochendem Wasser aufbrühen zu lassen.

Frau Göbel durfte es missverstehen: Denn Filterkaffee der wunderbarsten Art ist heute Kaffeemaschinenkaffee der schärfst-bitteren Weise. Das echte Filtern hat das Kranzler in den frühen Fünfzigern abgeschafft. Die Kundschaft verlangt nach diesem Maschinenkaffee – und zwar ohne Schischi, Karamel- oder Sonstwiezusätzen, vor allem ohne Schaum.

„Die Kunden wollen keinen Schümli“, sondern dunkelbraune klare Flüssigkeit, heiß, am liebsten mit Dosenmilch, die sich durch sie schliert, als sei es Living Art Dalís. Das, richtig verstanden, ist die Marktlücke des neuen alten Kranzlers, aufgekauft von der Gerry-Weber-Textilkette, die im Parterre eine Filiale hat.

Also: Das Kranzler lebt.

Von Menschen, die mit all den Starbucks, Einsteins und Caras ein gewisses Unbehagen an der Kaffeehauskultur verbinden. Service & Filterkaffee? Erstens perfekt, zweitens schaumfrei. Alles in allem: gut so!

CAFE KRANZLER, Kurfürstendamm 18, 3. Etage, 10719 Berlin, U-Bahn Kurfürstendamm, Tel. (0 30) 8 87 18 39 25, täglich 8.30 Uhr bis 22 Uhr. Preise? Die niedrigsten im ganzen Viertel