BARBARA OERTEL ZUM ZWISCHENFALL IM OSTEN DER UKRAINE : Nichts ist unmöglich
Eine Erkenntnis aus der Krise in der Ukraine, die vor einem Jahr begann und bislang mindestens 5.000 Menschen das Leben gekostet hat, lautet: In diesem Land scheint im Moment nichts unmöglich zu sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Aussage von Regierungschef Arsenij Jazenjuk, im Südosten des Landes habe sich ein Atomunfall ereignet, vor allem in den sozialen Medien panikartige Reaktionen auslöste.
Die Gründe liegen auf der Hand. Sofort werden Erinnerungen an das Reaktorunglück in Tschernobyl von 1986 wach. Die damalige sowjetische Regierung setzte die Bevölkerung damals zeitverzögert über den Vorfall in Kenntnis, und auch in der Folgezeit versuchte sie nach Kräften, das wahre Ausmaß der Katastrophe zu verschleiern. Die tatsächliche Zahl der Opfer ist bis heute nicht bekannt.
Doch neben dem Tschernobyl-Film stellen sich noch andere Bilder ein: Wrackteile und verwesende Leichenteile aus dem im Juli auf Flug MH17 abgeschossenen malaysischen Flugzeug. Ob die ukrainische Armee oder prorussische Kämpfer die Boeing vom Himmel holten – dies wird abschließend vielleicht nie geklärt werden. Allein der Umstand, dass, absichtlich oder nicht, 300 völlig unbeteiligte Menschen in diesem wahnwitzigen Krieg auf diese Art geopfert wurden, verführt zu weiteren zynischen Gedankenspielen. Warum nicht auch ein Anschlag auf ein Atomkraftwerk, wenn er den eigenen Zielen dient?
Befeuert werden diese Mutmaßungen durch einen Propagandakrieg, den die ukrainische Regierung und die prorussischen Separatisten voller Inbrunst führen. Deshalb ist grundsätzlich bei allen Informationen Vorsicht geboten. Das gilt natürlich auch für den Atomunfall, der angeblich keiner gewesen ist. Wirklich nicht? Das werden die nächsten Tage zeigen. Oder auch nicht.
Wirtschaft + Umwelt SEITE 8