BARBARA DRIBBUSCH über GERÜCHTETipps zum Tütenpacken? : Der Nusskeks im Getriebe
Auch Sie können den Turbokapitalismus stoppen: bei Minimal an der Kasse. Aber das erfordert Mut
Unsichere Menschen wie ich geraten ständig in zweideutige Situationen. Diese Momente im menschlichen Miteinander, wo man nicht weiß: Soll ich mich anpassen? Oder besser laut werden, Widerstand leisten gegen die neue, subtile Form der Gängelung? Seitdem sie meinen Supermarkt an der Ecke umgebaut haben, stellt sich diese Frage für mich in brennender Aktualität. An der Kasse.
Auch Dienstag wieder, als ich in einer der Schlangen unaufhaltsam nach vorne geschoben wurde, krampfte sich mein Magen schon im Vorfeld zusammen. Widerstand oder Anpassung? Nur noch wenige Minuten bis zur Entscheidung.
Nach dem Umbau haben sie nämlich bei Minimal die großen, gemütlichen Zwei-Kunden-Kassen abgeschafft und durch Schnellkassen ersetzt. Früher schob die Kassiererin Milch, Karotten, Jogurt und Nudeln einfach über das Scannerfeld in die große Lade, sodass man das soeben Gekaufte sorgfältig in die Tüten legen konnte, während schon der nächste Kunde abkassiert wurde. Brauchte man etwas länger, war das kein Problem: eine Leiste trennte die eigene Ware von der des nächsten Käufers. Dieser konnte dann seine Tüten bestücken, während man selbst noch mit der optimalen Positionierung der Eier im Beutel herumexperimentierte.
Vorbei diese ruhigen Zeiten: heute gibt es nur noch eine kleine Ablagefläche hinter dem Scannerfeld, über das eine jugendliche Minijobberin die Artikel in hektischen Bewegungen schleift, als gelte es einen Wettbewerb im Schnellkassieren zu gewinnen. Dann hat die Kundin zwei Möglichkeiten.
Die erste Möglichkeit besteht darin, sich servil den neuen Zeiten anzupassen und Vollkorntoast, fettarme Milch und Packhambirnen gleich wieder in den Einkaufswagen zu legen, diesen dann in eine Ecke zu schieben und erst dort die Tüten zu füllen. Denn der Kunde verwandelt sich mit dem Bezahlen der Ware auf der Stelle vom umworbenen Konsumenten in einen Überflüssigen, der keinerlei Platz und Zeit mehr zu beanspruchen hat. Wobei es den Mächtigen der Handelskonzerne sicher am liebsten wäre, die Menschen würden den Einkaufswagen aus den Verkaufsräumen pflichtschuldigst hinaussteuern auf den angrenzenden Parkplatz, selbst wenn sie gar kein Auto besitzen, und dort das Tüteneinpacken erledigen.
Aber es gibt auch noch die andere Möglichkeit. Heute ist mein Tag. Ich werde es wagen.
„35,50“, sagt die Kassiererin. Auf der kleinen Ablagefläche türmen sich Milch, Jogurts, eine Erdbeerschale, Tiefkühlhähnchen und Nusskekse. Ich habe es bisher nur geschafft, das Sonnenblumenbrot und die Delicious-Äpfel in einen Leinenbeutel zu versenken. Der Rest der Ware erfordert eine raffinierte Packarchitektur. Soll ich erst die Jogurtbecher einstellen und darauf die Plastikschale mit den überreifen, schon etwas zerdrückt aussehenden Erdbeeren? Oder vielleicht doch lieber umgekehrt? Auf jeden Fall sollte ich das Tiefkühlhähnchen in der Nähe der Milch positionieren, wegen des Kühleffekts. Obwohl. Ist doch heute vielleicht auch egal. Bei der Kälte draußen.
„Ist irgendwie schwieriger geworden, mit den neuen Kassen“, sage ich zur Kassiererin, ein bisschen kumpelhaft, laut genug, dass es auch die anderen hören. Die Schlange an der Kasse ist durch meinen mutigen Widerstand gegen den entmenschlichten Turbokapitalismus ins Stocken geraten. Trotzdem schaffe es nicht so ganz, gelassen zu bleiben, während ich die Ware gemessen einpacke. Die Nusskekse knirschen, als ich das Tiefkühlhähnchen drauflege. Die junge Teilzeitkraft hat mir nicht geantwortet. Sie kassiert die nächste Kundin ab, diese legt die Waren anschließend sofort wieder in ihren Einkaufskorb, willfährige Dienerin des Systems, und wirft mir einen verächtlichen Blick zu, als sei ich zu doof, die neuen Regeln zu verstehen.
Das ist zu viel. Am Nachmittag rufe ich bei Rewe in Köln an, dem Mutterkonzern von Minimal. Der freundliche Herr Schmuck von der Pressestelle versteht sofort mein Problem. „Die alten Kassen haben einfach zu viel Platz weggenommen“, sagt Herr Schmuck, „und wir wollen doch dem Kunden ein möglichst umfangreiches Sortiment anbieten. Da mussten wir umbauen. Bei Aldi haben sie genau das gleiche System. Da beschwert sich kein Mensch drüber. Verstehen Sie“ – Herr Schmuck verfällt in einen eindringlichen Ton – „es geht doch nicht darum, den Kunden zu ärgern. Sondern nur um die Wettbewerbsfähigkeit! “
Wettbewerbsfähigkeit. Das hat mich schon immer geschafft. Morgen gehe ich mal wieder zum Türken. Die bringen den deutschen Wirtschaftsstandort auch voran. Und dort packen die Leute an der Kasse die Waren noch selbst für die KundInnen ein, in diese dünnen, durchsichtigen Plastiktüten. Man kann nicht jeden Tag das System umstürzen. Es ist einfach zu anstrengend.
kolumne @taz.de Morgen: Philipp Maußhardt KLATSCH