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Archiv-Artikel

BARBARA DRIBBUSCH ZUR AOK-FAMILIENSTUDIE Reichlich platt

Wer wissen will, wie Geld und Zeit in sinnlosen Studien verpulvert wird, der muss sich die AOK-Familienstudie 2014 anschauen. Tenor: „Den meisten Familien geht’s gut, sie leiden aber unter Zeitstress.“ Für die Studie wurden rund 1.500 Elternteile telefonisch befragt. Interviewpartner waren zu 75 Prozent die Mütter. Die väterliche Perspektive ist unterrepräsentiert. Unter den Befragten sind Leute mit Abitur und Hochschulabschluss überproportional vertreten. Das Ganze als „Repräsentativbefragung“ auszugeben, wie es die AOK macht, ist reichlich kühn. Es handelt sich eher um eine Mittelschichtsbefragung.

93 Prozent der Eltern gaben an, mit ihrem Familienleben zufrieden zu sein. Das sei besser als zuvor, bis auf den Zeitstress eben. Aus der Studie folgen platte Empfehlungen auch von Wissenschaftlern: Man soll sich für ein besseres Familienleben öfter mal eine Auszeit gönnen, mehr Sport machen, die Zeit mit den Kindern „so bewusst wie möglich“ verbringen.

Diese Plattitüden zeigen, dass die Familienforschung ihre Perspektiven erweitern sollte. Spannend ist weniger die Frage, wie heil die Welt der Familien ist, sondern wie mit Dysfunktionen umgegangen wird. Was machen Eltern und Kinder, deren Leben aufgrund äußerer oder innerer Bedingungen irgendwelchen Mittelschichtsnormen von Bildung, Sportlichkeit und Zuwendung gar nicht entsprechen kann? Welche Kompensationsmöglichkeiten haben Eltern, um die Erfahrung von Armut für die Kinder innerfamiliär auszugleichen? Wie kompensieren Kinder, wenn ein Elternteil depressiv ist und gar nicht in der Lage, dem Nachwuchs vorzulesen? Können die Computer, kann das Umfeld da zum Retter werden? Es reicht nicht, ein paar Mütter zu Hause anzurufen und zu befragen. Kinder haben bessere Forschung verdient.

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