BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN : Die späte Erkenntnis der Barbara B.
Warum ich Jungs aus der DDR von der Bettkante schubste und warum mir jetzt erst ein Licht aufgeht
Ich glaub’s nicht. Nachdem es peinlich-dumme DDR-Nostalgie-Shows im Fernsehen gab und das Hammer-Zirkel-Ährenkranz-Emblem mittlerweile auf allem prangt, was nicht weglaufen kann, überkommt mich auf einmal eine große Erkenntnis. „Es war nicht alles schlecht im Osten.“ Tatatataaaaa! Aber halt – es geht nicht um die Milchversorgung für die Kleinen in der Schule. Es geht um Männer.
Zu DDR-Zeiten hatten Jungs aus meinem Heimatland kaum eine Chance bei mir. Allein ihre Herkunft, für die sie nichts konnten, machte sie uninteressant. Männer, die nicht aus der sozialistischen Staatengemeinschaft kamen, waren hingegen höchst willkommen. Allein ihre geografische Herkunft ließ sie in meiner Gunst steigen. Ich weiß, das ist oberflächlich, aber so war es nun mal. Und alles, was verboten ist, macht mehr Spaß.
Als ich anfing, Spanisch zu studieren, zog es mich natürlich zu Südamerikanern. Speziell ein Kolumbianer hatte es mir angetan, der ein Jahr älter als mein Vater war. Auf dem 50. Geburtstag meines Vaters verkündete ich stolz, dass mein Freund, den ich der Familie vorenthielt, schon im Vorjahr dieses Jubiläum begangen hatte. Ich genoss das betretene Schweigen an der Kaffeetafel und die verständnislosen Blicke der Verwandtschaft.
Bei dieser Erfahrungssuche mussten tolle DDR-Jungs auf der Strecke bleiben, auch wenn sie tolle Namen hatten. Karl Stark zum Beispiel. Karl Stark war Student an der renommierten Designhochschule „Burg Giebichenstein“ bei Halle. Wir lernten uns in einem Studentensommer kennen, bei dem wir in einem Neubaugebiet dabei helfen mussten, dass die sozialistische Einheitspartei ihr Wohnungsbauprogramm erfüllt. Nachdem wir zusammen Gräben ausgehoben hatten, verband uns ein zartes Band der Liebe. Doch schließlich fand ich den kolumbianischen Macho interessanter als den Ostmann, der in meinen Augen zu verständnisvoll war.
Die Geschichte mit dem Kolumbianer überlebte den Mauerfall nicht, und ich konnte in Ruhe gucken, was der Westen so zu bieten hat. Erst war ich mit einem Halbfranzosen zusammen, der toll kochen konnte und das Laisser-faire liebte. Dann mit einem zehn Jahre jüngeren Mann von einem fernen Kontinent, der mir so gut gefiel, dass ich ihn heiratete. Seit einem Jahr läuft die Scheidung. Die Trennung war Anlass für mich, die Männer meines Lebens Revue passieren zu lassen.
Da fiel mir Karl Stark ein. Das überraschte mich. Denn außer an seinen tollen Namen, seine roten Haare und seine tolle Handschrift konnte ich mich an nicht viel erinnern. Aber da war so ein diffuses Gefühl. Nachdem ich herausgefunden hatte, dass er in Berlin in einem Architekturbüro arbeitet, schrieb ich ihm eine Mail. „Erinnerst du dich an den Studentensommer 1985?“ Prompt antwortete er: „Da werden ja gleich tiefe Erinnerungen wach. In dieser riesigen Altbauwohnung, wo die Kohlen in der Wohnung gegenüber lagen und ich mich bemüht habe, dich auf das Sofa zu legen. Jedenfalls war Spanisch deine Liebe. Wir können uns ja mal treffen!“
Einige Stunden später telefonierten wir und ich fragte keck, ob ich damals eine Kohlenmonoxidvergiftung von dem alten Ofen erlitten hätte oder was das mit dem Sofa war. Er korrigierte seine Erinnerung. Ich hätte schon auf dem Sofa gelegen und er wollte sich dazugesellen. Ich musste lachen. Doch das Lachen verging mir sofort. „Ich habe dich wohl nicht gelassen?“, fragte ich zögerlich. Als ich sein ernsthaftes „Nein“ vernahm, wurde mir schlagartig klar, wie ich damals drauf war.
Eine Woche später trafen wir uns zum Mittagessen. Ich erkannte ihn sofort und fand, dass er seinem Nachnamen alle Ehre macht. Er erzählte von seiner Scheidung, seiner Freundin, seinen Kindern. Schade, dachte ich und schrieb ihm danach, wie doof ich in meinem jugendlichen Leichtsinn war, ihn vom Sofa zu schubsen. „Ja, so isses im Leben“, antwortete er tröstend.
Aber ich brauche keinen Trost. Hätte ich damals schon seine Reize erkannt, wäre ich nicht zu der bahnbrechenden Erkenntnis gelangt, dass das Gute nahe liegen kann. Manchmal.
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