BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN : Schönheit kommt von Westen
Ostdeutsche fühlen sich nicht attraktiv? Leider hat mich niemand dazu befragt – als ehemaliges Starmodel Uruguays
Bin ich schön? Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mir diese Frage nicht ab und an stelle. Aber sie hat keinen existenziellen Stellenwert. Schließlich verdiene ich mein Geld nicht mit meinem Aussehen, sondern mit meinen inneren Werten.
Eine Forsa-Umfrage unter mehr als eintausend Bundesbürgern hat ergeben, dass sich Westdeutsche attraktiver fühlen als Ostdeutsche. 62 Prozent der Westler gaben an, dass ihnen ihr Aussehen schon einmal genutzt habe. Bei den Ostlern meinten das nur 48 Prozent. Die Westler halten sich also nicht nur für schlauer und reicher, sondern auch noch für schöner. Also, ich find’s gut, dass wenige Wochen vor dem 15-jährigen „Wir sind ein Volk“-Jubiläum alles auf den Tisch kommt. Da weiß man wenigstens, was man zu feiern hat.
Leider wurde ich in der Umfrage nicht befragt. Ich hätte natürlich ganz frech geantwortet, dass mir mein Aussehen schon genützt hat. Denn: Schönheit ist relativ. Statt Silikon in den Lippen trage ich lieber einen flotten Spruch auf den Lippen. Das hebt zwar weder Schlupflider noch Busen, dafür aber die Moral.
Meine große Fresse hat mir zumindest einmal dazu verholfen, in voller Größe und Farbe in einer Zeitschrift abgebildet zu werden. Als Model! Es war zur Leipziger Frühjahrsmesse 1988. Ich hatte mich wieder mal aufs Messegelände geschmuggelt, um mir einen Job am offiziellen Vermittlungsbüro vorbei zu besorgen. Am Stand von Uruguay wurde ich fündig. Ich hatte mich angezogen gefühlt von der großen Vitrine mit Jeanskleidung. Es waren nicht die im Osten so beliebten stonewashed Jacken und Hosen, die es mir angetan hatten, sondern ein Minirock, der seinem Namen alle Ehre machte. Ich fragte die Latinos, ob ich den Rock nicht nach der Messe haben könnte. Klar, meinten die. Aber unter einer Bedingung: Du trägst ihn während der gesamten Messewoche. Ich willigte sofort ein.
Für die Jungs aus Uruguay hat sich der Deal dreifach gelohnt. Eins ihrer Exponate lief als lebendes Modell den ganzen Tag am Stand herum. Es kam bei einem offiziellen Treffen des Botschafters mit einer DDR-Messe-Delegation, das ich gedolmetscht habe, sehr gut zur Geltung. Noch dazu wurde die Jeansmode made in Uruguay mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.
Um diesen sozialistischen Messesieg festzuhalten, kam eines nachmittags ein Fotograf am Stand vorbei, um die prämierten Erzeugnisse abzulichten. Weil ich den Rock schlecht ausziehen konnte, kam ich mit aufs Bild. Bereitwillig posierte ich und zog mir sogar eine der furchtbaren stonewashed Jacken an. In meiner Aufregung vergaß ich, den Fotografen zu fragen, für wen er die Fotos machte. Einige Woche später wusste ich es. Ein befreundeter Kolumbianer brachte mir eine Ausgabe der Zeitschrift Brücke mit, von der ich vorher noch nie etwas gehört hatte. Sie wurde von der „Liga für Völkerfreundschaft der DDR“ in Spanisch herausgegeben für diverse Freundschaftsgesellschaften in Argentinien, Bolivien oder Mexiko. Es erübrigt sich zu sagen, dass darin ein mehr als rosarotes Bild von der DDR gezeichnet wurde.
Beim Durchblättern bekam ich auf Seite 6 einen gehörigen Schreck. Da war ich in voller Jeansmontur zu sehen! Dazu hieß es in der Bildunterschrift: „Zum ersten Mal präsentieren Models Jeanskleidung am Stand von Uruguay.“ Ich ein Model? Davon konnte ja wohl keine Rede sein. Ich war, wenn auch ohne offiziellen Vertrag und für Westgeld, wegen meiner Sprachkenntnisse engagiert worden. Nicht wegen meines Aussehens!
Der ultimative Ratschlag in Sachen Schönheit kommt jedoch von einer ganz anderen Seite: einem türkischen Imbissbetreiber bei mir im Nachbarhaus. Vor wenigen Tagen stellte er eine große Stelltafel auf den Gehweg, um seine Döner anzupreisen – für einen Euro das Stück. Der Türke, dem die ganze Ost-West-Geschichte am Dönerspieß vorbei gehen könnte, hat sich einen wirklich tollen Spruch als Verkaufsargument einfallen lassen. Einen, der uns Ostlern, die wir uns keine teuren Schönheitscremes und -operationen leisten können, Mut macht. „Döner macht schöner.“
Fragen zum Minirock? kolumne@taz.de Morgen: Folge 9 der AGRONAUTEN