BAP-Sänger Niedecken übers Älterwerden: "Ein wunderbares Verhältnis zu Köhler"
Über alte aalglatte Männer schimpfen? Verdammt lang her - Kölschrocker Wolfgang Niedecken über Gelassenheit im Alter, alberne Berufsjugendliche und Kinder, die ihn an die Wand argumentieren.
taz: Herr Niedecken, als wir jung und unangepasst waren, flüchteten wir im Sommer auf griechische Inseln. Warum macht das heute keiner mehr?
Wolfgang Niedecken, geboren am 30. März 1951 in Köln, ist Sänger, Texter und letztes verbliebenes Gründungsmitglied der Band BAP. Verheiratet, vier Kinder. Lebt in Köln. Engagiert sich seit Jahren für Afrika.
BAP (gegründet 1976) erweiterten durch ihre Sprache (kölsch) das Rockspektrum und dürften die wirkungsmächtigste deutsche Band der vergangenen 30 Jahre sein.
Das jüngst veröffentlichte "Radio Pandora" (als "Plugged" und "Unplugged" erschienen) ist das zehnte Album der Band, das es auf Platz 1 der Media Control-Charts geschafft hat. Wie stets ist es von der kritischen Fachpresse eher negativ rezipiert worden. Es finden sich darauf okaye iTunes-Hits wie "Et Ess, Wie't Ess" und "Musik, die nit stührt". Besonders interessant: Niedecken beschäftigt sich mit dem Alter, speziell in "Kron oder Turban" und dem Dylan-Cover "Für Immer Jung".
Wolfgang Niedecken: Doch, ich. Mach ich dieses Jahr wieder!
Wie gehen Sie ansonsten mit dem Älterwerden um?
Das beschäftigt mich, klar. Ich bin 57, ich habe vier Kinder aus zwei Ehen, und ich spüre die Verantwortung mehr denn je. Es hat Jahre gegeben, da hab ich da nicht drüber nachgedacht. Heute frage ich mich so ganz platt: Was wird aus denen? Erstens privat und beruflich: Wie muss ich hinterher sein, dass ich nicht versäume, irgendwie an der Weichenstellung mitzuhelfen? Und auf der anderen Seite: Was für eine Welt hinterlasse ich ihnen?
Sollte ein Rock-n-Roller über die Welt reden, die er seinen Kindern hinterlässt? Das klingt ein bisschen moralisch.
Ach, das ist eine ganz logische Entwicklung, dass sich das Leben irgendwann mal auf diese Fragen konzentriert. Aber es stimmt: Das war zu meinen Zeiten absolut uncool, über so was zu reden.
Zu Ihren Zeiten?
Ich hab mich im Alter von 18, 19 entschieden, mein Leben als freischaffender Künstler verbringen zu wollen. Und das ist ja eine wesentliche Entscheidung, die man zu treffen hat: Will ich mir meine Lebensqualität mit dem besorgen, was ich tue - oder will ich irgendetwas tun, womit ich viel Geld verdiene, um mir meine Lebensqualität zu erkaufen.
Sie haben beides vereint …
Das war nun wirklich nicht abzusehen. Ich hab Malerei studiert, und nach dem Studium ging das dann mit dieser Hobbyband los …
… BAP …
Ich hatte während des Studiums genug Mitstudenten erlebt, die von freier Malerei leben wollten und dann irgendwie in den Zustand reingeschlittert sind, eine Familie zu haben, und dann doch ausweichen mussten auf Bafög oder irgendwas. Jedenfalls war es dann mit der freien Kunst vorbei.
Das hat Ihnen Angst vor Kindern und Familie gemacht?
Also, davor habe ich mich schon gehütet, wie der Teufel vorm Weihwasser. Aber als wir mit BAP plötzlich zwei Doppelplatinalben hintereinander verkauft hatten und dann noch ein Platinalbum hinterher, da kam der Zeitpunkt, wo wir entschieden haben: Oh, jetzt könnten wir ja doch Kinder haben.
Fühlen Sie sich grade wohl in und mit Ihrem Alter?
Ich fühl mich wohl.
Sicher?
Ja, gut, es gibt ein paar Sachen, bei denen man sagen würde, wär schön, wenn das jetzt nicht wär, wenn ich jetzt nicht aufs Gewicht aufpassen müsste, diesen ganzen Kram, aber das ist nix, worüber ich länger nachdenke.
Haben Sie das Gefühl, dass mit dem Alter was dazukommt - oder wird es weniger?
Es kommt auf jeden Fall etwas dazu. Gelassenheit ist dafür das beste Beispiel: Ob in der Band, in der Beziehung oder in der Familie, bei Diskussionen bin ich früher relativ schnell aus der Haut gefahren. Mittlerweile gehe ich im Zweifelsfall geistig um den Block, Gott sei Dank. Das heißt nicht, dass ich nicht auch absolute Wut empfinden kann, wo ich sage, so, es reicht, bis hierhin und nicht weiter. Aber ich habe immer ein Problem gehabt mit Berufsjugendlichen - grade auch unter den Musikern. Ich würde es lächerlich finden, wenn ich mit 57 so tun würde, als hätte ich grade erst die Schule verlassen. Das ist nun mal nicht so.
Sie haben auf dem neuen Album Bob Dylans "Forever Young" gecovert. Das ist riskant.
Höllisch riskant. Wir haben lange überlegt. Aber dann war da ein Geburtstag, ein 60. Geburtstag …
… Sie gehen jetzt auf 60. Geburtstage …
Süßerweise war es der 60. Geburtstag unseres Schlagzeugers, und da haben wir ihm "Für immer jung" gewidmet.
Was sagt Ihnen der Song?
May you build a ladder to the stars/ And climb on every rung: Kletter so hoch, wie du willst und kannst, egal ob es vernünftig ist oder nicht, wenn du dich immer wieder einem Risiko aussetzt, bleibst du jung im Kopf.
Seit wann fühlen Sie sich trotzdem erwachsen - im positiven oder im negativen Sinne?
Spätestens, seit ich erwachsene Kinder habe.
Warum dann?
Wenn du mit deinen erwachsenen Kindern auf wirklich gleicher Ebene argumentieren kannst, das ist schon eine besondere Erfahrung. Da triffst du auf solche Gegenargumente, dass du irgendwann sagst: Ja, stimmt, da hast du recht, so hab ich noch nie drüber nachgedacht.
Ist das eine gute oder schlechte Erfahrung?
Weder noch. Mit jüngeren Kinder war das immer so beschützend, so wohlwollend: "Ja, kann man auch so sehen, aber das wirst du noch begreifen." Irgendwann ist das vorbei. Dann sind in meinem Fall der Vater und die zwei Söhne erwachsen.
Das heißt, Sie müssen sich Richtung Großvaterautorität bewegen?
Autorität, komisches Wort. Mein Verhältnis zu meinen Söhnen ist keines, wie man es hat, wenn man jahrelang immer den gleichen Alltag miteinander verbracht hat. Bei der Trennung von der dazugehörigen Mutter 1988 war Robin zwei. Ich war deshalb für meine Söhne immer mehr so eine Art großer Bruder, Freund, Onkel, und ich wurde nur dann wirklich alarmiert, wenn irgendwas ganz schiefgegangen ist. Bei meinen Töchtern kriege ich jedes bisschen mit. Das ist mir manchmal schon zu viel, das will ich gar nicht alles wissen.
Lassen Sie uns über alte Männer sprechen. Früher waren die das Gegenteil von uns, nämlich "aalglatt" und böse.
Wenn Sie auf den Titel "Aal Männer, Ahlglatt" anspielen, da ging es um Kohl, Reagan und ihren Auftritt auf dem SS-Soldatenfriedhof Bitburg. Der Song erschien 1986, damals war man noch bereit zu sagen: die und wir. Wenn Sie sich heute unsere Parteienlandschaft anschauen, da ist nix mehr mit den Guten und den Bösen, und hier sind wir.
Schwarz-Grün ist für Sie als alten Rot-Grünen schon ein Verrat?
Nein, das ist kein Verrat. Ich schreie jetzt nicht Hurra, aber bei allen existierenden Grenzen zwischen den beiden Parteien ist das für mich ein Versuch weiterzukommen.
Was wäre ein anderer Versuch?
Man muss alles neu überdenken. In Sachfragen zusammenarbeiten und das Vertrauen nicht auf eine Partei oder irgendwas festschreiben, sondern wenn man Leute kennenlernt, mit denen man kann, daraus etwas entwickeln.
Wen meinen Sie konkret?
Das beste Beispiel für mich ist Bundespräsident Horst Köhler. Ich habe ein wunderbares Verhältnis zu unserem Bundespräsidenten, das beruht auf Gegenseitigkeit. Der hat mich jetzt schon etliche Male eingeladen zu Afrikakonferenzen, zu Staatsbesuchen nach Afrika.
Abgesehen von Ihrem Engagement für Afrika: Ist das ein Zeichen von Alter, dass man den Bundespräsidenten sympathisch finden kann?
Es ist ein Zeichen von Reife.
Andere würden vielleicht da etwas anderes sagen.
Ich kann mein Leben nicht danach richten, was andere vielleicht sagen würden.
Sie finden es besser mitzumischen, als draußen zu stehen.
Natürlich, das schwingt alles mit. Man muss die Möglichkeiten wahrnehmen. Dieser Bundespräsident hat sich Afrika auf die Fahne geschrieben, der will was verändern, weil er als ehemaliger Chef des Regierungsfonds viel gesehen und Afrika begriffen hat.
Früher wäre er für Sie trotzdem ein alter, aalglatter Mann gewesen.
Nein, das konnte ich immer schon fein unterscheiden. Was stimmt, ist, dass nicht jeder alle deutschen Politiker kennenlernen und sich sein eigenes Bild machen kann.
Rot-Grün war die letzte Regierungskonstellation, in der der Traum der 68er- und der 70er-Jahre noch enthalten war. Wovon träumen Sie heute in Ihrer ganzen Gelassenheit?
Ich träume davon, dass die Bereitschaft der Menschen größer wird, sich gegenseitig verstehen zu wollen.
Amen …
Doch, ich träume wirklich davon, dass alle daran interessiert sind, was die anderen denken und wie sie dazu kommen. Aber dieses Bemühen, sich gegenseitig zu verstehen, das geht nur mithilfe der Medien. Nehmen wir Tibet und China.
Was ist damit?
Jeder, der halbwegs denken kann, wusste, dass es vor Olympia losgehen würde mit den Protesten in Tibet. Das ist auch gut so, denn jetzt ist die Awareness dafür da. Die Weltöffentlichkeit guckt jetzt hin, hört jetzt hin, kann gar nicht genug darüber berichten. Das wird nach Olympia wie ausgeknipst sein.
Sie würden Olympia demnach nicht boykottieren?
Nein. Ich finde es wunderbar, dass jetzt die Gelegenheit ist, mal ins Detail zu gehen, was Tibet betrifft. Wenn man einen Aufmerksamkeitsstrom hat, muss man was draus machen.
Herr Niedecken, was ist Ihnen denn wirklich wichtig: geistige Reife oder körperliche Jugend?
Von dem, was ich dazugelernt habe, möchte ich ungern etwas missen. Ich würde ohne meine Erfahrungen einiges nicht können. Das ist schon prima. Aber wenn ich das in eine Waagschale legen würde und müsste mich entscheiden …
… doch noch mal 20 Jahre jünger - und alles nicht sein, was Sie in der Zeit geistig entwickelt haben?
Okay, okay, dann würde ich "20 Jahre jünger" wählen. Ich glaub auch keinem, der sagt, er wähle die andere Option.
INTERVIEW PETER UNFRIED
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