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Autos, Orgeln und Jazzstandards ohne ReueAls Bleichgesicht beim Gospel

Ausgehen und Rumstehen

von Franziska Buhre

Das metallische Knirschen ist auch in 50 Meter Entfernung nicht zu überhören. Beim Vorbeifahren sehe ich einen Pkw mit Potsdamer Kennzeichen. Kaum auf der Schlossstraße im Westen und schon den Außenspiegel vom Doppeldecker abgesäbelt, zu blöd.

Busse haben hier noch Vorfahrt, auch am frühen Freitagabend. Just als ich auf dem unteren Parkdeck, auf dem Gelände der Kirchengemeinde Alt-Schöneberg in der Hauptstraße eintreffe (abgas- und unfallfrei), beginnt das Konzert.

Der Gitarrist Hannes Buder steht am Ende des autofreundlichen Betonareals aus den frühen 60er Jahren, hinter ihm ist der Friedhof durch den Gitterzaun zu erspähen, zu seinen Füßen liegt ein Kofferdeckel mit akkurat arrangierten Effektpedalen. Nach dem ersten Stück sagt Buder, es sei Eugen Drewermann gewidmet. Eine Saite reißt, ich kann sie verstehen – für Drewermann eingespannt zu werden ist sicher nicht angenehm.

Buder spielt nach Noten und erteilt dem Publikum unterschwellig eine schlechte, als sich niemand auf seine Frage hin meldet, ob der 2006 mit Polonium vergiftete Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko noch bekannt sei. Deutlich entspannter spielen der Organist Frank Schreiber und der Gitarrist Eberhard Klunker beim anschließenden Konzert in der Paul-Gerhardt-Kirche. Mit den Noten gerät Klunker bei „Take Five“ ein wenig ins Schleudern, bei „In The Air Tonight“ ist er ganz in seinem Element. Schreiber agiert etwas zu schüchtern mit den Registern der 50-jährigen Orgeljubilarin, er könnte auch mehr in die Manuale brettern. Aber Jazz ist das einstige „Edel-Instrument West-Berlins“ (Zitat aus dem Programmflyer) vielleicht nicht gewohnt.

Als ich am Sonntag die Protestant-Faith-Fellowship-Kirche in Dahlem betrete, orgelt der Pianist bereits munter auf dem Keyboard, das wiederum auf dem Flügel liegt. Ein E-Bassist steht im zur Seite, den Schlagzeuger umgibt ein Paravent aus Plexiglas. Ich bin nicht das einzige Bleichgesicht in diesen Reihen, traue mich aber nicht aufzustehen, als die ErstbesucherInnen gebeten werden sich vorzustellen. Das Happy Birthday für die Geburtstagskinder der letzten Woche singe ich mit, dann reihe ich mich für die Kollekte ein, das Abendmahl am Schluss ist mir aber zu krass.

Der Gospelchor unter Leitung von Ingrid Arthur macht große Freude, Pastor Frank J. Williams jr legt eine astreine Performance hin. Er ruft zum Miteinander der Generationen auf. Wenn ich mich umschaue, kann der biodeutsche Protestantismus hier noch viel lernen.

Sommerlich unbeschwert geht es im Garten der Kaiserdiele am Südwestkorso in Friedenau zu. Friederike Brueck spielt eine Snare Drum und singt, Timo Tietz begleitet sie auf dem Keyboard. Unerwartet gesellen sich die Jazzsängerin Hattie St. John und ein US-amerikanische Klarinettist dazu, die Jazzstandards genieße ich ohne jede Reue. Um die Live-Musik in dieser Oase ist es der Nachbarschaft wegen nicht einfach bestellt. Gegen reaktionäre Geister, erinnere ich mich an frühere Zeiten, hilft nur eins: mehr Swing!

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