Autor Wildenhain tritt in die Linkspartei ein: „Die Grünen sind mir zu bieder“
Michael Wildenhain war einst Hausbesetzer, nun trat er in die Linkspartei ein. Ein Gespräch über radikale Bewegungen und warum es gerade die Linke sein musste.
taz: Herr Wildenhain, sie sind kürzlich in die Linkspartei eingetreten. Warum?
Michael Wildenhain: Ich hatte schon länger mit dem Gedanken geliebäugelt. Es gab dann einen Aufruf aus dem außerparlamentarischen Spektrum, in die Partei einzutreten. Eigentlich unterschreibe ich keine Aufrufe, weil ich diese Form von Politik für kurios halte. Aber soziale Bewegung und parlamentarische Linke stärker zu verknüpfen, das hat mich überzeugt.
Warum?
Die Anti-AKW-Bewegung ist ein Beispiel, dass auch eine starke, kontinuierliche soziale Bewegung das Parlament und eine Partei – in dem Fall die Grünen – brauchte, um den Atomausstieg durchzusetzen. Soziale Bewegungen können viel bewirken, zerfallen aber auch wieder leicht. Es mangelt an Kontinuität. Das ist ein Vorteil von Institutionen wie Parteien, bei denen es hingegen gelegentlich zu viel Kontinuität gibt, vor allem personell. Soziale Bewegungen und Parteien können sich ergänzen.
Sie kommen aus der radikalen Linken, der Hausbesetzerbewegung der 80er Jahre. Ist es nicht merkwürdig nun in eine linkssozialdemokratische, langweilige Partei einzutreten?
Vor zehn, fünfzehn Jahren wäre das für mich nicht infrage gekommen – das stimmt. Aber mein Blick auf die radikalen Bewegungen hat sich verändert. Diese Bewegungen sind Durchlauferhitzer. Leute engagieren sich dort zwei, drei Jahre, dann hören sie auf. Es gibt dort ein dauerndes Abreißen von Zusammenhängen, das äußerst unproduktiv ist. Gerade in dem entstehenden politischen Europa, mit all seinen komplexen Problemen, muss die gesellschaftliche Linke kontinuierlich vertreten sein. Es gibt in Europa mehr Erwerbslose, die soziale Kluft wird tiefer, um zwei Beispiele zu nennen. Um dafür Lösungen zu finden, ist eine parlamentarische Linke notwendig – und eine breite, europäische, außerparlamentarische Bewegung.
Waren Sie schon in Ihrem Ortsverband?
Ja, aber es gab noch keine Versammlung. Ich habe bisher nur das Büro der Geschäftsstelle gesehen. Es stehen ziemlich viele Werke von Marx und Engels dort.
Schreckt sie die Vorstellung nicht, Teil eines bürokratischen Parteilebens zu werden?
Ich bin neugierig, ich werde es ausprobieren. Immerhin kenne ich Sportvereine. Die haben ja auch ihren Sinn.
Warum die Linkspartei, warum nicht die Grünen?
Es gibt manche dort, die ich schätze: Jürgen Trittin, natürlich Hans-Christian Ströbele. Aber die Grünen insgesamt empfinde ich als viel zu bieder.
Sie sind Schriftsteller. Ist der Autor, der seine Stimme erhebt oder sich politisch engagiert, nicht ein Modell aus dem letzten Jahrhundert?
Ich glaube nicht, dass Schriftsteller dauernd ihre Stimme erheben sollen. Das Israelgedicht von Grass hat diesen Irrtum ja deutlich vor Augen geführt. Das ist eine Form der Intervention, die aus der Zeit gefallen wirkt. Das liegt zum einen daran, dass es keine politisierte Gesellschaft gibt, die Sensoren dafür hat. Und es liegt an dem Bedeutungsverlust der Literatur. Für die Verständigung in der Gesellschaft sind Fernsehen und die neuen sozialen Medien einfach die wichtigeren Medien. Der zentrale Grund ist aber ein anderer: Der Schriftsteller, der sich anmaßen darf, qua eigener Gedankenstärke für andere zu sprechen, ist keine überzeugende Figur mehr. Und das ist eine Form der Demokratisierung, ein antihierarchischer Prozess, der Vorteile hat.
Also haben Schriftsteller keinen privilegierten Zugang zu politischem Engagement?
Nein, nicht mehr als Physiker oder Mathematiker. Autoren können sich politisch äußern, wenn sie von einem bestimmten Thema etwas verstehen. Eine besondere Kompetenz, für das Gemeinwohl zu sprechen, haben sie nicht. Die Idee, für andere zu sprechen, kam mir schon immer abseitig vor. Was ich als Autor tun kann, ist Literatur vor dem Hintergrund eines politischen Milieus oder Ereignisses zu entwerfen. Allerdings sind die Zeiten für diese Literatur nicht günstig. Es fehlt der gesellschaftliche Resonanzraum. Ein Buch wie „Lenz“, das Peter Schneider Anfang der 70er Jahre schrieb, ist derzeit kaum vorstellbar.
Ist Parteipolitik eigentlich ein romanfähiger Stoff? Außer Wolfgang Koeppens „Treibhaus“ 1953, worin das Scheitern eines sozialdemokratischen Abgeordneten in Bonn beschrieben wird, gibt es nichts …
Doch. Michael Kumpfmüller hat mit „Nachricht an alle“ vor ein paar Jahren den fragwürdigen Versuch unternommen, einen Minister zur Romanfigur zu machen. Aber man erkennt auch an „Treibhaus“, wie schwierig es ist, politische Literatur, die diesen Namen verdient, zu schreiben. Das politische Bonn, die Zwänge des entstehenden parlamentarischen Apparats sind bei Koeppen die Folie für die existenziellen Krise eines Mannes. Im Prinzip könnte diese Geschichte auch in einem anderen Milieu spielen. Darin steckt die Frage, was politische Literatur ist und ob es reicht, ein politisches Milieu als Setting zu wählen.
Was dann?
Es gibt Versuche, den bürgerlichen Roman aufzusprengen, über den individuellen Protagonisten hinauszugehen und einen kollektiven Protagonisten zu entwerfen. Das gibt es etwa in Anna Seghers Exilroman „Die Gefährten“ oder Nanni Balestrinis Roman „Wir wollen alles“, der die Fabrikkämpfe in Turin Ende der 60er Jahre beschreibt und in dem sich die Protagonisten in ein kollektives Wir auflösen. Die Etablierung des Kollektivs als Protagonist ist eine äußerst komplizierte Sache. Es gibt dafür nur ganz wenige überzeugende Beispiele. Das Konzept passt für intensive Erfahrungsräume wie soziale Revolten. Mit „Die kalte Haut der Stadt“ und „Zum Beispiel K.“ habe ich diesen Versuch unternommen. Inwieweit er gelungen ist, müssen andere entscheiden. Den großen Roman über die europäischen Revolten, wenn sie kommen, werden diejenigen schreiben, die daran beteiligt sein werden.
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