Autor Grass wirbt für Steinmeier: "Im Internet soll einiges los sein"
Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier erhält intellektuelle Unterstützung: Nobelpreisträger Günter Grass engagiert sich auf einer Ausstellung für ihn.
"Gut aufgestellt." Das sagt er wirklich. Der Autor der "Blechtrommel", der Schriftsteller von Weltruf, der Nobelpreisträger für Literatur. Der Mann, der gerade eine halbe Stunde aus seinen Werken gelesen hat, jedes Wort wohl gesetzt. Er sagt jetzt ohne jeden Anflug von Ironie: "Wir sind gut aufgestellt mit Steinmeier und Steinbrück."
Es ist nicht so, dass Günter Grass solche Sätze peinlich fände. Im Gegenteil. Sie sollen illustrieren: Hier ist einer, der sich für den politischen Nahkampf nicht zu schade ist. Also macht Grass, wie schon seit fünfzig Jahren, mal wieder Wahlkampf für die SPD. Und damit das auch jeder mitbekommt, hatte die Partei am Montagabend zur Ausstellungseröffnung geladen.
"Ein Bürger für Brandt. Der politische Grass", lautet der Titel. Auf Schautafeln in der Berliner Parteizentrale zeigen historische Fotos den Schriftsteller im Wahlkampfeinsatz. Zur Eröffnung ist neben Grass auch Frank-Walter Steinmeier gekommen, der Kanzlerkandidat.
Worauf die beiden Männer hinauswollen, kann man sich denken. Aber zur Sicherheit hilft Grass ein wenig nach. Schon einmal habe es ein SPD-Kandidat 1969 geschafft, vom Außenminister einer großen Koalition zum Bundeskanzler zu werden, sagt er. Schon einmal sei ihm dabei ein SPD-Minister behilflich gewesen, der die finanz- und wirtschaftspolitische Kompetenz verkörperte. Selbst aus dem Finanzcrash schöpft Grass Hoffnung. "Die SPD ist immer nur in Krisensituationen an die Regierung gekommen", sagt er. "So wird es auch diesmal sein."
Finanzminister Peer Steinbrück, ein neuer Karl Schiller? Das mag noch angehen, auch wenn der Vergleich den kleinen Makel hat, dass der ehemalige Wirtschaftsminister Schiller wenig später wegen der steigenden Staatsverschuldung von allen Ämtern zurücktrat und die SPD verließ. Aber Frank-Walter Steinmeier als neuer Willy Brandt? Da mag auch manch ein Genosse leise zweifeln.
Nicht nur aus persönlichen Gründen. Auch strukturell unterschlägt Grass ein paar Unterschiede, wie man selbst als Freund historischer Vergleiche feststellen muss. Hinter Steinmeier liegen nicht zwei Bundestagswahlkämpfe, in denen er als Kandidat schon an Profil gewonnen hätte. Er hat auch noch nicht einen Stadtstaat durch weltpolitische Krisen gesteuert. Die CDU stellt noch nicht seit zwanzig Jahren ununterbrochen den Kanzler. Sie hat auch nicht die FDP so nachhaltig vergrätzt, dass sie ein Bündnis mit den Sozialdemokraten in jedem Fall vorzöge - selbst wenn es, wie 1969, rechnerisch für eine Koalition mit der Union reichen würde.
Die sozialdemokratische Seele wärmt Grass trotzdem mit den Wahlkampfreportagen aus den Sechzigern, die er vorträgt. Sie stillen die Sehnsucht nach einer Zeit, als es noch klare Fronten gab. Als die CDU in Oberschwaben oder im Münsterland noch 80 Prozent der Stimmen erhielt. Als der Wahlkämpfer Grass noch verlässlich darauf rechnen konnte, mit Eiern beworfen zu werden. Manche Eierwerfer, berichtet er, wählten später dann doch SPD. Vielleicht hat Grass selbst dazu beigetragen, dass sein Wahlkampfkonzept überlebte.
Gekommen sind an diesem Abend ins Willy-Brandt-Haus vor allem jene, die beim Willy-Wahlkampf selbst dabei waren. Vom Podium aus begrüßt Grass die Journalistin Wibke Bruhns und den Kneipier Friedel Drautzburg. Erstaunlich viele Männer tragen einen Schnauzbart. Es werden alte Freunde begrüßt, die von weither angereist sind. Es wird geschimpft auf die Umfrage-Institute, die schlechte Werte für die SPD verbreiten, obwohl sich die meisten Leute doch erst kurz vor der Wahl entschieden.
Den Eindruck, er schwelge nur in der Vergangenheit, will Grass gleichwohl vermeiden. Er spricht über das Phänomen Barack Obama, sagt, dass man den Impuls aufgreifen müsse - auch wenn die Deutschen gegenüber charismatischer Führung aus gutem Grund skeptisch seien. Und er empfiehlt der SPD, sich mehr ums Internet zu kümmern. "Ich beherrsche das nicht. Aber ich habe gehört, da soll einiges los sein."
Immerhin hat die SPD noch Intellektuelle, die sich für den Wahlkampf einspannen lassen. Den Christdemokraten fällt das schwer. Erstaunlicherweise meldet sich am anderen Morgen der Reporter Günter Wallraff zu Wort. Er halte Merkel für "glaubwürdiger, bescheidener und sympathischer" als ihren Vorgänger Gerhard Schröder, hat er einer Nachrichtenagentur eröffnet. Anders als die "Schröder-Gang" nutze Merkel ihr Amt nach seinem Eindruck nicht zum persönlichen Vorteil.
So weit, dass er mit Merkel auf Parteiveranstaltungen aufträte, würde selbst Wallraff wohl nicht gehen.
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