Autor Andrew Sean Greers: Wie Splitter eines Glases
Besitzen kann man den anderen sowieso nicht: In Andrew Sean Greers Roman "Geschichte einer Ehe" funktionieren zumindest die Überraschungseffekte.
Ein Mann bietet einer Frau Geld, viel Geld. Aber er will dafür nicht eine Nacht mit ihr verbringen, sondern er will ihren Ehemann. Für immer.
Der Plot ist reizvoll, das Setting im Kalifornien der frühen 1950er anschaulich eingefangen, der Zweite Weltkrieg und Korea sind durch Alltagsdetails präsent, und wenn nach einiger Zeit klar wird, dass zwei der Protagonisten, das Ehepaar Pearlie und Holland Cook, schwarz sind, ist auch dieser Überraschungseffekt gelungen.
Dieser Text erscheint in der sonntaz vom 12. Dezember 2009 - zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Aber je weiter man liest, desto ärgerlicher wird man. Andrew Sean Greer, dessen Vorgängerroman "Die Geschichte des Max Tivoli" zum internationalen Bestseller wurde, macht das, was eigentlich unter die klassischen Anfängerfehler fällt: Er überfrachtet seine Geschichte mit ambitionierten Nebensträngen und deutet einige Konstellationen nochmals explizit durch seine Erzählerin aus. Eine Aufgabe, die man getrost den Lesern überlassen kann, und umso unnötiger, als es eigentlich Spaß macht, sich in das Szenario hineinzuversetzen und die Motive der Figuren auszuloten.
Pearlie und Holland haben sich in ihrer Jugend in Kentucky kennen gelernt. Durch den Zweiten Weltkrieg und Hollands (verzögerten) Kriegseinsatz voneinander getrennt, treffen sie einige Jahre später in San Francisco wieder aufeinander. Der "bildschöne" Holland wirkt verhärmt und in sich gekehrt, doch Pearlie gewinnt ihn mit den Worten "Lass mich für dich sorgen", und kurze Zeit später heiraten sie.
Das bescheidene Dasein mit Haus am Meer und kleinem Sohn gerät durcheinander, als eines Tages ein Mann, Buzz, auftaucht. Er ist charmant, doch in seinem Anliegen, Pearlie den Ehemann abzukaufen, den er bei Kriegsende in einem Militärhospital kennen und lieben gelernt hatte, ist er beharrlich. Für 100.000 Dollar soll Pearlie ihren Mann an Buzz abtreten.
Wie ist es, mit einer solchen Information über den eigenen Partner konfrontiert zu werden? Stimmt sie überhaupt, welche Indizien liefert das Verhalten des anderen? Und was gilt eine Ehe, wenn es daneben eine Liebe gibt, die vielleicht stärker ist? Streckenweise ist die Art, in der Greer das Leitmotiv des Romans, "Wir glauben, die zu kennen, die wir lieben", entfaltet, durchaus interessant. Lieben ist schwer, wenn man nicht fest an sich selbst glaubt, schwerer noch, wenn man sich untereinander nicht ausspricht. Besitzen kann man den anderen ohnehin nicht, auch wenn die junge Pearlie zu Beginn der Ehe noch freudig staunte: "Und er gehörte mir, das war das Unfassbare." Richtig daran war nur, dass Holland ein Mann ist, um den andere sich kümmern.
Der Umstand, dass Buzz und Pearlie ernsthaft über Holland in Verhandlung treten, ist somit noch nachvollziehbar. Unplausibel ist jedoch ein Punkt, von dem der weitere Verlauf der Geschehnisse abhängt: die angebliche Faszination Hollands von der Tochter seines weißen Vorgesetzten, Annabel.
Pearlie hat, an der Liebe ihres Mannes zweifelnd und in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihren Sohn, dem Angebot mittlerweile zugestimmt. Was Buzz davon abhält, mit dem gekaperten Holland über alle Berge zu verschwinden, ist der Umstand, dass Pearlie und er beide glauben, Holland könne sich von Annabel nicht losreißen. Das wirkt auf den Leser vollkommen abwegig, ist aber für Greers Romankonzept ein scheinbar notwendiger Schritt. Denn so ziehen sich die Ereignisse hin, kommt es immer wieder zu heimlichen Treffen zwischen Pearlie und Buzz, im Laufe derer die dramatische Vergangenheit von Buzz, der den Dienst im Zweiten Weltkrieg verweigert hatte, zutage tritt. Buzz Geschichte gäbe Stoff genug für einen eigenen Roman, und als hätten die Leser es nicht schon längst kapiert, muss die Erzählerin (Pearlie als alte Frau) nochmals explizit reflektieren: "Das hier ist eine Kriegsgeschichte … Sie hat als Liebesgeschichte begonnen, aber überall hängt der Krieg an ihr wie Splitter zersprungenen Glases." Ach, tatsächlich?
Auch die Rassenproblematik wird immer wieder als solche benannt, während der als weiteres Leitmotiv mitgeführte Prozess gegen Julius und Ethel Rosenberg 1953 der jungen Pearlie als Steigbügel für konstruierte innere Monologe dient: "Was ist eine Ehefrau? … Was ist der kleinste, nicht-spaltbare Kern einer Ehefrau? Nur du könntest es uns verraten, Ethel, und du bist stumm in den Tod gegangen."
Zugutehalten muss man Greer, dass es ihm immer wieder gelingt, eine unvorhergesehene Wendung herbeizuführen, auch wenn das Cliffhangerprinzip manchmal allzu deutlich hervortritt. Die Fragen, zu denen dieser Roman anregt, hallen nach; seine Figuren jedoch verblassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!