Autonomie-Streit in Bolivien: Gewalttätige Übergriffe befürchtet

Kurz vor einer umstrittenen Abstimmung über regionale Autonomie verkündet Boliviens Präsident Evo Morales die Verstaatlichung mehrerer Unternehmen.

In Santa Cruz gingen Tausende auf die Straße, um für das Autonomie-Referendum zu werben. Bild: dpa

Drei Tage vor einem umstrittenen Autonomiereferendum in der ostbolivianischen Provinz Santa Cruz ist die linke Zentralregierung in La Paz in die Offensive gegangen. Vor Tausenden, die sich zur 1.-Mai-Demo auf der Palaza Murillo vor dem Präsidentenpalast versammelt hatten, gab Staatschef Evo Morales überraschend die Nationalisierung von vier Energieunternehmen und der größten Telefongesellschaft Entel bekannt.

Nach anderthalb Jahren ergebnisloser Verhandlungen muss die italienische Euro Telecom International dem Staat ihre Mehrheitsbeteiligung überlassen. Der Wert des Aktienpakets soll bis Ende Juni ausgehandelt sein. "Heute geht Entel wieder in die Hände des bolivianischen Volkes über", rief Morales unter großem Jubel. "Basisdienstleistungen wie Energie, Wasser oder Telekommunikation dürfen keine Privatgeschäfte sein, das sind öffentliche Dienste."

Am Sonntag lässt die Regionalregierung über ein Autonomiestatut abstimmen, das Züge einer Gegenverfassung trägt. Weder Boliviens Regierung noch die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) oder die EU billigen der Abstimmung bindende Wirkung zu. Evo Morales bezeichnet sie als "Meinungsumfrage". Als solche jedoch ist sie bedeutsam. Bei einer hohen Wahlbeteiligung und einer klaren Mehrheit für das "Ja" würden die Großgrundbesitzer und Unternehmer um Gouverneur Rubén Costas gestärkt in neue Verhandlungen mit Morales gehen - OAS-Vermittler Dante Caputo, der seit Wochen darauf drängt, wurde von Costas auf die Woche nach der Abstimmung vertröstet.

Paulo Stefanoni von der bolivianischen Le Monde diplomatique bezeichnet den Konflikt zwischen der weißen Oberschicht im ostbolivianischen Tiefland und der Zentralregierung im Andenhochland als "katastrophales Patt", das Bolivien bereits seit 2003 lähme - etwa doppelt so lange wie Morales Regierungszeit.

"Bevor es zu Verhandlungen kommt, muss Bolivien immer erst am Abgrund stehen", analysiert der Ökonom Carlos Toranzo. Während sämtliche Nachbarstaaten eine Destabilisierung des Landes befürchten und Morales den Rücken stärken, haben die Autonomisten die US-Regierung auf ihrer Seite. Morales-Anhänger wollten am Freitag in Santa Cruz demonstrieren und an drei weiteren Orten "Widerstandsquartiere" einrichten. Die Kirche warnte vor Zusammenstößen.

Vor genau zwei Jahren hatte Morales die ersten Dekrete zur Nationalisierung der Erdöl- und Erdgasindustrie erlassen. Als Folge davon waren 2007 die Staatseinnahmen aus dem Energiesektor mit 1,93 Milliarden Dollar fast doppelt so hoch wie 2005. Mit den populären Maßnahmen möchte die Regierung der rechten Oppositionsbewegung im rohstoffreichen Santa Cruz den Wind aus den Segeln nehmen. Eine der betroffenen Ölfirmen habe die "Separatisten" zudem finanziell unterstützt, sagte Energieminister Carlos Villegas dem TV-Sender Telesur.

Zu einer gütlichen Einigung kam es lediglich mit dem spanischen Erdölmulti Repsol, der 1,1 Prozent der Aktien seiner Tochtergesellschaft Andina an die bolivianische Staatsfirma YPFB verkaufte. Den britischen und argentinischen Aktionären, die an den Firmen Chaco und Transredes beteiligt sind, wurde die Mehrheitskontrolle per Dekret entzogen, das vormalige deutsch-peruanische Logistikkonsortium CLHB ist komplett verstaatlicht. Insgesamt zahlt Bolivien 43,6 Millionen Dollar, und nach den Privatisierungen der 90er-Jahre ist YPFB wieder federführend in der gesamten Wertschöpfungskette der Erdgas- und Erdölproduktion aktiv.

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