Autofahren in Berlin soll schöner werden

■ Das automatische Verkehrsleitsystem LISB dirigiert ab Ende April 700 Autos zentralgesteuert durch die Stadt / Die elektronischen Leitplanken bewahren vor Staus, Baustellen, Demonstrationen / Gefahr für den öffentlichen Nahverkehr, Hoffnung für die Autoindustrie

Ein Berliner will nach Paris. Er steigt ins Auto, gibt seine Zieladresse in der französischen Metropole in den Bordcomputer und fährt los. Den Blick auf Landkarte und Stadtplan kann er sich sparen, ebenso die Furcht vor Staus auf den Autobahnen. Ein kleiner Bildschirm vor dem Armaturenbrett zeigt dem Fahrer, wo es langgeht. „Überhaupt keine Zweifel“ hat der Verkehrsplaner Jürg Sparmann, daß das in zehn Jahren „technisch möglich ist“.

Und das ist keineswegs die überzogene Utopie eines Technofanatikers. In Sparmanns eigenem Passat-Kombi sind die nötigen Apparaturen längst angebracht - und in den Berliner Straßen auch. Unscheinbare Informations-Baken“, verbunden mit einem Zentralrechner in der Golßenerstraße in Kreuzberg, hängen sende- und empfangsbereit an den Ampeln von 240 Kreuzungen der Stadt. In 450 Autos sind die Anlagen schon installiert, bald werden es 700 Fahrzeuge sein. Denn Ende April beginnt der große Feldversuch für LISB, für das „Leit und Informationssystem Berlin“. Verkehrsplaner Sparmann ist der Projektleiter des Versuchs, den seine Studiengesellschaft Nahverkehr (SNV) gemeinsam mit Siemens und Bosch in Szene setzt. Geht es nach den Elektronikfirmen, dann hat es der Autofahrer im nächsten Jahrtausend europaweit viel einfacher als heute. Hat der Fahrer sein Ziel eingegeben, weisen Pfeile auf dem Bildschirm die Richtung und eine dunkle, künstliche Stimme krächzt ihre Befehle. „Rechte Fahrspur“, wird kommandiert; kleine Balken scheinen auf und verschwinden nach und nach, während sich der Wagen einer Kreuzung nähert. Ein Gong ertönt, und die Stimme aus dem Sprachgenerator befiehlt: „Abbiegen“. Unbemerkt tauscht sich währenddessen der Bordcomputer per Infrarot mit der Bake an der Ampel aus. Von der Bake kommen die Routenvorschläge in jeder Richtung, vorbei an Staus, Baustellen und Demonstrationen. Der Bordcomputer füttert im Gegenzug die Bake - und über diese den Zentralrechner - mit anonymisierten Angaben über die Fahrtzeit des Wagens. War der Wagen langsamer als erwartet, wird den nachkommenden Fahrern eine Ausweichroute empfohlen.

Noch ist das System, das den sklerotischen Verkehr vor dem Infarkt bewahren soll, selbst krankheitsanfällig. Öfters vergessen die Baken, ankommende Informationen zu speichern. Wenn der Sender/Empfänger im Auto verrutscht oder die Bake schief an der Ampel hängt, verfehlen die infraroten Strahlen ihr Ziel. Von den angepeilten 700 Teilnehmerwagen sind erst etwa 450 ausgerüstet, weil sich der LISB-Funk mit Autofunksystemen zunächst nicht vertrug. Und auch wenn Ende April der Feldversuch mit einigen Monaten Verspätung startet, geht es noch nicht wirklich los. Die Empfehlungen des Zentralrechners bleiben die ersten drei Monate lang über den Tagesablauf fest vorprogrammiert, um unerwartete neue Störungen lokalisieren zu können. Aber im August, verspricht Sparmann, „schalten wir das System scharf“. Nach einem Jahr wird die SNV die Ergebnisse auswerten und sie an den Zielen messen: mehr Sicherheit, kürzere Reisezeit, geringere Kosten sowohl für die Autofahrer als auch für die Volkswirtschaft. „Intelligentes Verkehrsmanagement“ ist Sparmanns Ziel. Der Verkehr soll freier fließen. Daß das Autofahren dadurch wieder attraktiver werden könnte, mag Sparmann nicht rundweg abstreiten; die zweite Seele in seiner Brust dient dem öffentlichen Nahverkehr und dem kann ein attraktiverer Autoverkehr nur schaden. Kein Wunder, daß die Autoindustrie Interesse zeigt. Daimler-Benz, BMW, Volkswagen und Opel beteiligten sich an der Ausrüstung der Versuchswagen. Kein Wunder sicher auch, daß Bonn und der alte Senat die Hälfte der 14 Millionen Mark übernommen haben, die für das Projekt bisher veranschlagt waren.

Nun benötigen die Verkehrsforscher jedoch einen Nachschlag von sechs Millionen. „Ich hoffe, daß wir den neuen Verkehrssenator bald im Haus haben“, sagt Sparmann. Er nennt Vorteile von LISB, die auch mit der künftigen rot-grünen Verkehrspolitik vereinbar wären. Die Umweltbelastungen durch Staus kann das System reduzieren, und weil LISB helfe, Straßenraum „intelligenter“ zu nutzen, werde der Rückbau von Fahrbahnen erleichtert. Außerdem erlaube die zentrale Computersteuerung eine „strategische“ Verkehrslenkung, verheißt Sparmann, vorbei an Wohngegenden und verkehrsberuhigten Zonen.

Noch ist allerdings offen, ob der Versuch überhaupt die gewünschten Ergebnisse zeitigen kann. Nicht mal ein Promille der fast 800.000 Berliner Autos ist angeschlossen. Mindestens ein Prozent wären aber auch nach Sparmanns Rechnung nötig, um genügend Informationen von den Straßen zu erhalten. Schlechte oder falsche Computerempfehlungen könnten die Versuchsteilnehmer verleiten, diese zu ignorieren und statt dessen auf die eigene Erfahrung zurückzugreifen. Ein ganz elementarer Fahrertrieb wird von LISB sowieso schon schwer gehemmt: das ebenso irrige, wie hartlebige Gefühl, hinter dem Gaspedal frei und keinem untertan zu sein.

hmt