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taz FUTURZWEI

Auto-Frust und Aggressionen Widerstehe deinem inneren Ingo

Während um ihn herum die Barbaren rasen, ist Aron im Verkehrsalltag total verständnisvoll und dialogbemüht. Doch an einer Ampel ändert sich alles.

Autofahren ist nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern kann auch den Verstand vernebeln Foto: Sander Sammy/unsplash

taz FUTURZWEI | Jetzt ist es passiert, denke ich. Ich bin auf einer Landstraße im Harz und etwas in mir wird fürchterlich sauer, weil der Fahrer des Autos vor mir zwei Sekunden lang vor einer grünen Ampel stand, weshalb ich warten musste und reflexartig die Warnhupe betätigte.

Ich umklammere das Lenkrad. Was mache ich hier, denke ich noch und sehe wie der Typ vor mir erst nach links abbiegt, dann nach rechts – ohne zu blinken!

Ich schüttle den Kopf und stoße einen dieser zynischen Luftzüge durch meine Nase, die sich sonst vor allem vor Anzeigetafeln der Deutschen Bahn in Hauptbahnhöfen oder vor den Türen der S-Bahn am Bahnsteig Neukölln verdichten. Von Menschen hastig eingeatmet werden sie zu Sätzen wie „Drecks Bahn!“ oder „Vielleicht erstmal andere aussteigen lassen!“. In meinem Fall entsteht der schlimme Satz: „Grüner wird’s nicht!“

Aggression macht unsexy

Sowas wollte ich doch nie machen. Leicht aggressives Autofahren finde ich eigentlich nur bei Italiener:innen okay, weil es irgendwie cool wirkt: wenn jemand die Arme über den Kopf schlägt und so sexy italienische Sachen flucht, die vermutlich nur deswegen sexy klingen, weil ich kein Wort Italienisch verstehe und die übersetzt vielleicht auch einfach „Jetzt fahr doch mal, du Arschkrampe!“ bedeuten.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Eben das, was die ganzen Ingos brüllen, die unter lebensbedrohlichen Manövern dicht an das Auto eines anderen heranfahren, ihren Blick bei 200 Stundenkilometer auf dem Tacho so lange an das feindliche Fenster heften, bis der erklärte Fahrdepp dahinter völlig verschreckt reagiert. Um sich abzureagieren geht's dann mit kontinuierlicher Lichthupe für mindestens 100 Kilometer auf der linken Spur auf der A2 Richtung Freiheit. Und zuhause wird dann noch kurz auf Facebook ein schlecht bearbeitetes Anti-Ampel-Meme mit roter Comic Sans Schrift geteilt.

Der Road-Rage-Moment

Wenn ich jetzt nicht aufpasse, denke ich, bin ich nur noch einen Schritt davon entfernt, genau so zu werden – und das wäre mal richtig unsexy. Es muss sich also sofort etwas ändern. Als ich zuhause ankomme, google ich meine Symptome und stoße auf einen Text über das Phänomen „Road Rage“ in einem psychologischen Online-Lexikon.

Road Rage meint, vereinfacht gesagt, das Gefühl, wenn eine Verkehrssituation Auslöser für Aggressionen wird. Einerseits können das Situationen sein, in denen man – so wie ich – aus Wut dicht auffährt oder ablenkend hupt. Andererseits entsteht Road Rage, wenn jemand abrupt im Straßenverkehr bremst, weil ein anderer ihm z. B. die Vorfahrt genommen hat, dann aber nicht mehr das entschuldigende Handzeichen des anderen wahrnimmt, sondern bereits mit rotem Kopf vor dessen Motorhaube zum Faustkampf bereitsteht.

Ich kenne diese Momente, denn Berlins Verkehr besteht praktisch ausschließlich aus Road Rage.

Und seitdem ich in der Stadt ein Auto habe, gab es immer Road Rage – nur ging sie bisher eigentlich nie von mir aus.

Das Problem: mitgebrachter Ärger

Erst vor Kurzem ereignetes sich Folgendes: Es ist Abend, ich will ganz harmlos aus meiner Straße in Neukölln heraus fahren und sehe, wie sich ein Typ mit seinem Fahrrad vor mir aufbaut. Im ersten Moment freue ich mich irgendwie sogar, im geschützten Wagen der Vernünftige zu sein. Also kurbele ich die Scheibe runter und frage, ob ich helfen könne.

„Ich will hier durch, du Arsch!“

„Aber das kann man doch auch nett sagen, oder?“, antworte ich. 


„Das ist hier so in Berlin. Das versteht ihr scheiß Zugezogenen nicht", brüllt er. „Ihr und eure …“

taz FUTURZWEI N°26

Die Welt muss wieder schön werden

Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.

Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur

Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.

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Woher gleich diese Wut? Laut des Online-Lexikons entstehen Road-Rage-Momente oftmals auch durch „mitgebrachten Ärger“. Vielleicht hätte ich den Typen auf dem Fahrrad fragen sollen, was bei ihm eigentlich los war, denke ich, als ich am nächsten Tag im ICE Richtung Berlin sitze.

Zeit wird gegen Gesundheit ausgespielt

Vielleicht wäre ich dann auch besser mit meinem eigenen Rage-Moment umgegangen. Oder ich wüsste, warum jemand wie ich zum Straßen-Ingo werden kann, obwohl er doch nach eigener Beurteilung weit davon entfernt ist.

Ich war selbst im Zeitverzug, bekam von einem Terminpartner kein „Fahr‘ vorsichtig“ sondern ein „Beeilen Sie sich!“ mit auf den Weg und konnte das lahme Auto vor mir nur noch als direkten Angriff der kapitalistischen Welt gegen mich verstehen. Vielleicht passiert das gerade im Verkehr, weil Zeit gegen Gesundheit ausgespielt wird, denke ich.

Uber-Fahrer verdienen pauschal nach Kilometern – egal, wie lange sie arbeiten. Amazon-Lieferanten müssen aus Mangel an bezahlten Pausen in Flaschen pinkeln, die reizüberflutete Atmosphäre wird immer explosiver und macht sicher vor keinem Berufsstand halt.

Kein Wunder, dass die zivilisiertesten Menschen mit „Baby on board“-Stickern zu schimpfenden Raserbarbaren werden können und, dass mir in meinem Kiez voller pazifistischer Ökos die Reifen zerstochen wurden – die Nachbar:innen wollen klimafreundlich, aber auch schnell zur Arbeit und mein Auto versperrte damals eine Leihfahrradstation.

Was tun bevor es knallt?

Die Ungerechtigkeit des kapitalistischen Ellenbogendogmas trifft jeden – und das täglich. Oft nur ganz leicht in der Seite, wie in einer überfüllten U-Bahn. Das hält man dann ein paar Stationen aus, aber irgendwann knallt es. Vermutlich ist das überall so. In Berlin sind die Menschen derzeit durchschnittlich 19 Tage im Jahr krank, der bundesdeutsche Durchschnitt liegt bei 18 Tagen.

Und das Gemeine an psychischen Erkrankungen ist ja, dass man das selten mit Schnupfen oder Husten beweisen kann. Wenn Kassenpatient:innen allein in Berlin sechs Monate auf einen Therapieplatz warten müssen, gilt es aufzupassen, nicht plötzlich zum Ingo zu werden.

Und manchmal hilft es schon, weniger Auto zu fahren, denke ich. Dann reißt mich eine Zugdurchsage aus den Gedanken: „Leider kommen wir ungeplant zum Stehen …"

Es braucht gefühlt einen Wimpernschlag, dann hat mein Sitznachbar sein Handy gezückt.

„Das ist ja typisch!“, schreit er in eine Sprachnachricht. „Ein Scheißladen ist das, nichts weiter!“

„Will noch jemand einen Kaffee?“, stottert ein Zugbegleiter neben uns. Ich nicke.

„Das rettet meinen Tag!“, sage ich ein bisschen überfröhlich.

„Wissen Sie, wie schön es ist, das zu hören?“, antwortet der Zugbegleiter und schenkt mir gleich zwei „DB-Lieblingsgastkekse“.

Einen für mich, einen für Ingo, denke ich, und gebe meinem immer noch schimpfenden Sitznachbarn einen Keks.

Ich deute noch freundlich lächelnd auf das „Ruhebereich“-Schild im Abteil.

„Arschloch“, zischt er – aber dann ist Ruhe.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.