Auszug aus DEM Strafgesetzbuch des Techno von Dr. Nz-Nz Bednarczyk. Paragraf 1 bis 8b: Grundlegende Etikette: Die tanzende Bioladenverkäuferin und ihr gefährlicher Verstoß gegen § 4
Ausgehen und Rumstehen
Svenja Bednarczyk
Geschlossene Gesellschaft in Neukölln. Der Samstagabend beginnt mit einem Bargeburtstag, eingeladen sind Stammgäste. Es läuft das Lied „Bullenwagen klaun und die Innenstadt demolieren“. Wir stehen ganz hinten im Kreis und spielen „Ich habe noch nie ...“. Das ist ähnlich wie „Wahrheit oder Pflicht“, nur ein Trinkspiel. Gut zum Kennenlernen – die Runde ist zusammengewürfelt und hat unterschiedliche Pläne für den Restabend. Ich soll mit der Erdbeere D. und dem Panda L. zum Purimfest ins Ritter Butzke gehen.
Ich habe aber keine Verkleidung und wenig Lust, denn der Club schneidet nicht gut ab nach meiner Bewertungsformel. Die da lautet: (Musik² + Soundsystem) x Gäste = Qualität einer Party. An meinem Geburtstag vor rund zwei Jahren beschloss ich, dass ich zu alt bin, um weiter schlecht tanzen zu gehen. Seither betrete ich quasi nur noch zwei Clubs in Berlin. Die Partys sind stabil. Man weiß, was man bekommt. Nur die Freunde fangen an, sich zu langweilen, und wollen „auch was anderes“ machen. Ich nicht. Denn da halten sich die Gäste zu oft nicht an die Technoetikette.
Technoetiwas? Regeln für den zivilisierten Umgang beim Feiern. Ein kleiner Auszug. § 1 der Technoetikette: Man tanzt in Richtung des Auflegenden. § 4 der Technoetikette: Menschliche Interaktionen und Körperkontakt sind zu vermeiden. § 8a der Technoetikette: Man tanzt ohne Rucksack oder Beutel, um Menschen hinter einem nicht zu stören. § 8b der Technoetikette: Nein, man legt sein Zeug auch nicht auf der Tanzfläche ab. Ich habe das Ausgehen inzwischen nach diesen Regeln professionalisiert. Die Taschen meiner Partybluse sind umgenäht. Da rein passt das Partyportemonnaie. Extraklein, nur mit Ausweis, BVG-Ticket und Geld.
An diesem Abend entscheide ich mich jedoch gegen den Club. Ich schiebe die fehlende Purimverkleidung als Ausrede vor, außerdem gibt es im Keller der Bar zum Geburtstag immer eine Tanzfläche. Wir stehen weiter im Kreis, reden in verschiedenen Konstellationen. E., der in einem Bioladen um die Ecke arbeitet, erzählt von komischen Begegnungen mit seinen KundInnen im Club. „Ich kann in Neukölln nicht ausgehen, ohne mindestens zwei Kunden zu treffen“, sagt er und hat auch an diesem Abend schon mehrere gesehen. Ich erzähle von einer Begegnung auf der Tanzfläche mit meiner Bioladenverkäuferin. Wie sie mich angesprochen hat und ich sie zunächst gar nicht erkannte, so ohne Schürze und im anderen Kontext. Zudem hatte sie gegen § 4 der Technoetikette verstoßen.
Trash on the Dancefloor
Wir wechseln in den Keller, und Freundin W. stürmt in die Mitte der provisorischen Tanzfläche, um mit den Händen in der Luft zu Bonnie Tylers „I Need a Hero“ zu tanzen. Warum muss auf so linken Partys eigentlich immer Trash laufen? Ich folge widerwillig, schließe die Augen und singe leise mit, um in die Stimmung zu kommen. Es folgen neuere Popsünden wie „Call Me Maybe“ und Taylor Swifts „Shake It Off“. Ich bin erstaunt über meine Textsicherheit und falle in die Party. Menschen und Wände schwitzen. Der Keller ist so voll, dass es unmöglich ist, sich beim Tanzen nicht zu berühren. Freunde tanzen im Ringelpiez. Normalerweise wäre das der Moment für mich, sich bestätigt zu fühlen, dass diese Party kacke ist, und sie selbstgefällig zu verlassen. Stattdessen kreische ich „Like diamonds in the sky“ zusammen mit Rihanna.
Als wir zum Taxi gehen, finden M. und ich ein unbenutztes Paket Luftschlangen auf dem Boden. Wir schleichen uns von hinten an die anderen an, versuchen sie damit zu fesseln und lachen, als wären wir zwölf Jahre alt. Ich lerne, wir sind doch noch nicht zu alt, um schlecht tanzen zu gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen