Austellung in Stade: Der beinahe Vergessene
Der Künstler Rolf Nesch leistete im Metalldruck revolutionär Neues und verließ Hamburg um der Freiheit willen schon im Oktober 1933. Er ging nach Norwegen und wird in Deutschland erst jetzt wiederentdeckt.
Über die Brille hinweg, was den Augen etwas verdüstert Tiefliegendes gibt, und mit genialischer Stirnlocke schaut Rolf Nesch 1922 aus dem Bild – nur die heutigen Betrachter wissen, dass er noch so einiges erleben wird. Als erstes grüßt so gleich neben einem leicht gezeichneten, freundlichen Seehundkopf ein Selbstporträt des Künstlers am Ende der ersten Treppe – fast schon eine Tradition in den monografischen Ausstellungen im alten Fachwerkbau des Kunsthauses am historischen Stader Stadthafen. Hier wird bis Ende Juni vor allem anhand der werkbestimmenden Druckgrafik eine Wiederentdeckung probiert.
Revolutionär Neues
Der 1893 in Oberesslingen bei Stuttgart geborene, 1975 in Oslo gestorbene Künstler, der besonders im Metalldruck revolutionär Neues leistete, ist außerhalb Norwegens etwas in Vergessenheit geraten. Dabei hat Emil Rudolf Nesch, üblicherweise Rolf genannt, besonders mit Hamburg viel zu tun. Schüler von Oscar Kokoschka in Dresden und Gaststudent bei Ernst Ludwig Kirchner in Frauenkirch bei Davos, lebte Nesch seit 1929 in Hamburg und war Mitglied der Künstlergruppe „Hamburgische Sezession“.
Max Sauerlandt, Kunsthistoriker und Leiter des Museums für Kunst und Gewerbe, vermittelte ihm den Auftrag, zum 80. Geburtstag von Karl Muck eine Radierungsserie über den berühmten Dirigenten und das Orchester zu machen. Damit und mit den Serien „St. Pauli“ und „Hamburger Brücken“ wurde der Schwabe nach seinen Stationen in Dresden und Berlin in der Hansestadt bekannt und beliebt. In Petersburger Hängung füllen die Arbeiten dieser Zeit nun das Treppenhaus in Stade.
Doch solche umwerfend leicht stilisierten, oft schwungvoll abstrahierten Bilder wurden schon 1933 aus den Ausstellungen entfernt. Kunst und Künstler gerieten massiv unter Druck. Die Sezession löste sich, den Repressalien zuvorkommend, selbst auf. Rolf Nesch suchte über die neue Kunstpolitik das Gespräch mit dem frisch gekürten Nazi-Bürgermeister von Hamburg, Carl Vincent Krogmann.
Denn der war für ihn etwas Besonderes: Kriegskamerad aus dem Ersten Weltkrieg, Freund und Saufkumpan, mäzenatischer Förderer, Initiator eines Kreises, der Nesch ein Monatssalär spendierte und wichtigster Sammler mit rund 300 Arbeiten – die werden allerdings 1943 bei einem Bombenangriff verbrennen. Doch Karrierist Krogmann war der nunmehr als „entartet“ geltende Künstler – zumindest außerhalb geschlossener Türen – nur noch peinlich. Er setzte sich nicht für die Kunst ein, ging mit dem neuen rechten Sturm. Und Rolf Nesch ging nach Norwegen. Das zu einer Zeit, als Künstler wie Franz Radziwill oder Emil Nolde bei der NS-Partei noch Vorteile suchten für den Aufbau einer neuen „nordisch-arischen“ Kunst.
Trotz aller Schwierigkeiten im neuen Land erreichte Neschs Kunst in Norwegen teils eine matissehafte Leichtigkeit, besonders in der reduzierten Darstellung der neuen Landschaft. Aber angesichts des Krieges fand er auch zu expressiven, starkfarbigen Formulierungen. Der nichtjüdische Künstler, der um der Freiheit willen schon im Oktober 1933 Deutschland verließ, was mag er gefühlt haben, als das Reich ihn einholte? 1940 wurde Norwegen besetzt. Die Lage eines deutschen Exil-Künstlers wurde in jede Richtung kompliziert. Als er 1943 zur Wehrmacht einberufen wurde, warf er sich in Oslo vor die Straßenbahn – und überlebte mit einer leichten linksseitigen Lähmung. Er musste nicht Soldat werden, hatte aber den Rest des Lebens bis 1975 mit Schwierigkeiten bei der Arbeit zu kämpfen.
Faszinierend sind vor allen die späten Drucke. 1946 wird Rolf Nesch endlich Norweger. Er macht objektcollagenhafte Materialbilder, eines aus Marmor und Porzellan, Glas, Nägeln und Drahtgeflecht ist hier zu sehen. Und er beherrscht den Metalldruck perfekt. Zwei gezeigte Druckplatten dienen als Beispiel.
Fantasiemonster
Dadurch, dass Nesch die Platte nicht nur einkratzt und abschabt, sondern ihr auch etwas auflötet oder anderweitig hinzufügt, kombiniert er die traditionell getrennten Verfahren Tief-, Hoch- und Prägedruck zu neuer Meisterschaft. Das Papier nimmt dabei schrundige, fast reliefhafte Formen an, die durch die starke Farbigkeit meist besänftigt werden. Neben Fantasiemonstern und Figuren der nordischen Sage werden auch die sehr einfachen Strichformen früher norwegischer Felsritzungen verarbeitet. Und alle Techniken kommen zusammen in den großen Friesen.
Sechsteilig ist der Druck „Schlachten von Rentieren“: Drei Blätter in grünem Ton zeigen die Dynamik der freien Herde. Dann beugt sich ein blau gekleideter Mensch über ein Tier und die letzen beiden Blätter füllen sich hinter der Zeichnung mit Rot. Doch derartig dramatische Szenen sind selten – zumindest in dieser Ausstellung der 130 Arbeiten aus der Hamburger Privatsammlung von Klaus Friedrich Meyer.
Der Kreuzritter, der Gardeoffizier und der Preisochse, in gleichem Format, aber mit 13 Jahren Differenz erstellt, hängen hier einträchtig nebeneinander. Aber das dürfte eher eine Interpretation der Kuratorin Ina Hildburg sein als ein beabsichtigtes politisches Statement des Künstlers, doch es funktioniert ganz prächtig. Denn sonst bleibt diese Kunst meistens freundlich. Am Ende stellte der Künstler mit einer so bewegten Geschichte unernste bunte Fische her und heimste dafür Anerkennung ein. Solche Kunst schien der theorieorientierten und politisierten neuen Kunst der Nachkriegsgeneration der späten Sechziger zu altersweise und zu dekorativ.
1958 erhält er den Alfred-Lichtwark-Preis, Hamburgs wichtigsten Kunstpreis. 1962 wird er Ehrenmitglied der Hamburger Akademie der Künste. Und trotz Ehrungen und der Teilnahme an der Documenta I bis III oder an der Venedig-Biennale 1962 wurde der Künstler langsam vergessen. Jetzt ist Rolf Nesch anhand dieser erstmals öffentlich gezeigten Hamburger Sammlung wiederzuentdecken – vor allem als Meister des Metalldrucks. Und das nicht nur in Stade.
Bei der April-Auktion von Ketterer in München erzielt das Blatt „Hafenbrücke“ nach einem Aufruf von nur 5.600 Euro völlig unerwartet einen tatsächlichen Erlös von 165.000 Euro. Und das Portrait des Hamburger Richters, Kunstsammlers, Mäzens und Kunstkritikers Gustav Schiefler war einem norwegischen Sammler 25.000 Euro wert – 30 Mal mehr als der angesetzte Preis.
Rolf Nesch – Ein stiller Revolutionär. Die Sammlung Klaus Friedrich Meyer, Hamburg: bis zum 30. Juni im Kunsthaus Stade, Wasser West 7
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